Harry Bosch 15 - Neun Drachen
Auto selbst vor. Wir sehen auch hinter den Türverkleidungen und im Luftfilter nach.«
»Gut. Sag mir Bescheid, wenn ihr was findet.«
Bosch drückte die Trenntaste und rief sofort Chu an.
»Haben Sie ihn schon eingeliefert?«
»Ja, vor einer halben Stunde. Im Moment bin ich im Gericht und warte, dass Richterin Champagne mir das PCD unterschreibt.«
Wenn ein Verdächtiger wegen Mordes in Haft genommen wurde, musste ein Richter ein sogenanntes »Probable Cause Detention«-Dokument unterzeichnen, in dem nachgewiesen wurde, dass für die Festnahme ein berechtigter Grund bestand. Es enthielt neben dem Festnahmeprotokoll eine Aufstellung der Beweise, die zur Verhaftung des Verdächtigen geführt hatten.
Einen berechtigten Grund für eine Festnahme zu finden war allerdings wesentlich einfacher, als danach fundierte Anklagepunkte vorzulegen. Ein PCD unterzeichnet zu bekommen war in der Regel eine reine Routineangelegenheit, aber dennoch war es ein geschickter Schachzug Chus, damit zu der Richterin zu gehen, die ihnen bereits den Durchsuchungsbeschluss ausgestellt hatte.
»Gut. Ich wollte nur sehen, ob das alles geklappt hat.«
»Ja, bei mir ist so weit alles klar. Und bei Ihnen, Harry? Irgendwas Neues von Ihrer Tochter?«
»Leider nein.«
»Tja … gibt es irgendetwas, was ich für Sie tun kann?«
»Erzählen Sie mir von der Einlieferung.«
Chu brauchte einen Moment, um den gedanklichen Sprung von Boschs Tochter zu Changs Einlieferung im L.A. City Jail zu schaffen.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Er hat die ganze Zeit kein Wort gesagt. Ein paarmal hat er irgendwas vor sich hin gebrummt, aber das war auch schon alles. Sie haben ihn im Hochsicherheitstrakt untergebracht, und dort wird er hoffentlich bis Montag bleiben.«
»Der kommt so schnell nirgendwohin. Hat er schon mit einem Anwalt gesprochen?«
»Sie wollten ihn zumindest gleich nach der Einlieferung telefonieren lassen. Ich habe es zwar selbst nicht mehr mitbekommen, aber ich nehme es mal an.«
»Okay.«
Bosch fischte einfach im Trüben, um vielleicht auf etwas zu stoßen, was eine Richtung vorgab und das Adrenalin in Gang brachte.
»Den Durchsuchungsbeschluss haben wir inzwischen bekommen«, fuhr er fort. »Aber weder im Handy noch im Koffer war irgendetwas Brauchbares. In einem der Schuhe war eine Visitenkarte versteckt. Sie ist beidseitig bedruckt, auf einer Seite englisch, auf der anderen chinesisch. Ich würde gern wissen, ob auf beiden Seiten das Gleiche steht. Sie können ja kein Chinesisch lesen, aber kennen Sie jemanden, der sich die Karte ansehen könnte, wenn ich sie an die AGU faxe?«
»Ja, Harry, aber beeilen Sie sich möglichst. Bei der AGU machen sie nämlich in Kürze Schluss.«
Bosch sah auf die Uhr. Es war Freitagnachmittag halb fünf. Die Bereitschaftsräume in ganz L.A. waren dabei, sich in Geisterstädte zu verwandeln.
»Dann faxe ich es ihnen gleich. Rufen Sie schon mal an und sagen ihnen Bescheid.«
Bosch klappte das Handy zu und ging in den Kopierraum auf der anderen Seite des Bereitschaftsraums.
Halb fünf. In sechs Stunden musste er am Flughafen sein. Und sobald er im Flugzeug saß, kamen seine Ermittlungen erst einmal zum Stillstand. Bei seiner Tochter und in dem Fall würde es während des vierzehnstündigen Flugs weiter vorangehen, aber er selbst wäre auf Eis gelegt. Wie ein Weltraumreisender im Kino, der während des langen Rückflugs von seiner Mission im All in eine Art Winterschlaf versetzt wurde.
Er wusste, er konnte das Flugzeug unmöglich mit leeren Händen besteigen. Irgendeine Form von Weiterentwicklung musste er mitnehmen.
Nachdem er die Visitenkarte an die Asian Gang Unit gefaxt hatte, kehrte er in sein Abteil zurück. Er hatte das Handy auf dem Schreibtisch liegen lassen und sah, dass er einen Anruf seiner Ex-Frau verpasst hatte. Sie hatte keine Nachricht hinterlassen, aber er rief sie zurück.
»Irgendwas Neues?«, fragte er.
»Ich habe sehr lange mit zwei von Maddies Freundinnen telefoniert. Diesmal haben sie mit mir geredet.«
»Hast du auch mit He gesprochen?«
»Nein, mit He nicht. Ich weiß weder ihren vollständigen Namen noch ihre Telefonnummer. Die anderen Mädchen übrigens auch nicht.«
»Was haben sie dir erzählt?«
»Dass He und ihr Bruder nicht auf ihrer Schule sind. Sie haben sie in der Mall kennengelernt, aber sie sind nicht mal aus Happy Valley.«
»Wissen sie, woher sie sind?«
»Nein, sie wussten nur, dass sie nicht aus dem Viertel sind. Maddie war anscheinend richtig
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