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Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Titel: Harry Bosch 15 - Neun Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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irgendwelcher Forderungen seitens seiner Ex-Frau. Eleanor Wish hatte immer sehr gut verdient und auf rechtlichem Weg nie auch nur einen Dollar Unterhalt von Bosch eingeklagt. Es war vielmehr Bosch, der unbedingt in irgendeiner Form etwas beisteuern wollte. Sich an Madelines Schulgeld zu beteiligen vermittelte ihm – ob nun wirklich zu Recht mal dahingestellt – das Gefühl, maßgeblichen Anteil an der Erziehung seiner Tochter zu haben.
    Entsprechend zeigte er zusehends mehr väterliches Interesse an ihren schulischen Belangen. Ob nun bei seinen Besuchen in Hongkong oder den – für ihn – sehr frühen sonntagmorgendlichen Telefongesprächen, Bosch versäumte es nie, sich nach Madelines schulischen Leistungen und ihrem jeweiligen Unterrichtsstoff zu erkundigen.
    Diesen Gesprächen verdankte er sein rudimentäres Schulbuchwissen über die Geschichte Hongkongs, aufgrund dessen er auch wusste, dass die New Territories, in die sie jetzt unterwegs waren, trotz ihres Namens keineswegs erst seit kurzem zu Hongkong gehörten.
    Das umfangreiche Gebiet, das die Halbinsel Kowloon umgab, war der damaligen britischen Kronkolonie Hongkong schon vor über einem Jahrhundert per Pachtvertrag als Pufferzone gegen eine Invasion von außen zugesprochen worden. Als dieser Pachtvertrag 1997 auslief und die Oberhoheit über Hongkong von den Engländern wieder an die Volksrepublik China zurückgegeben wurde, blieben auch die New Territories Teil der Sonderverwaltungszone, dank deren speziellem Status Hongkong weiterhin seine einzigartige Stellung als internationales Finanz- und Kulturzentrum beibehalten konnte, in dem sich Ost und West gegenseitig befruchteten.
    Die New Territories waren riesig und vorwiegend ländlich geprägt, aber es gab auch einige großangelegte staatliche Siedlungsprojekte, in denen auf engstem Raum die ärmsten und schlechtest ausgebildeten Bürger der Sonderverwaltungszone zusammenwohnten. Die Kriminalitätsrate war hoch und Geld knapp. Von den Triaden ging ein starker Reiz aus. Tuen Mun war eine dieser Trabantenstädte.
    »Als ich jung war, gab es hier viele Piraten«, sagte Sun.
    Weder er noch Bosch hatte ein Wort gesprochen, seit sie vor über zwanzig Minuten losgefahren waren. Beide hatten ihren eigenen Gedanken nachgehangen. Die endlosen Reihen klotziger Wohnhochhäuser entlang der Stadtautobahn waren so einförmig, wie es nur staatliche Sozialbauten sein konnten. Sie lagen inmitten sanft gewellter Hügel, die dicht mit den kleineren Häusern älterer Wohnviertel bebaut waren. Eine spektakuläre Skyline gab es hier nicht. Es war armselig und trostlos, ein zu einem gigantischen Wohnsilo mutiertes Fischerdorf.
    »Heißt das, Sie sind aus Tuen Mun?«
    »Ich bin hier aufgewachsen, ja. Bis ich zweiundzwanzig war.«
    »Waren Sie in einer Triade, Sun Yee?«
    Sun antwortete nicht. Er tat so, als sei er zu sehr damit beschäftigt, den Blinker zu bedienen und prüfende Blicke in die Rückspiegel zu werfen, als sie von der Autobahn abfuhren.
    »Nicht, dass mich das groß interessiert«, setzte Bosch nach. »Mich interessiert nur eines.«
    Sun nickte.
    »Wir werden sie finden.«
    »Das weiß ich.«
    Sie hatten einen Fluss überquert und fuhren jetzt durch eine von vierzigstöckigen Häusern gesäumte Straßenschlucht.
    »Und die Piraten?«, fragte Bosch. »Was war mit denen?«
    »Das waren Schmuggler. Sie kamen aus dem Südchinesischen Meer den Fluss herauf. Sie haben den Fluss kontrolliert.«
    Bosch überlegte, ob ihm Sun damit etwas zu sagen versuchte.
    »Was haben sie geschmuggelt?«
    »Alles. Sie haben Waffen und Drogen hierhergebracht. Menschen.«
    »Und was haben sie von hier weggeschafft?«
    Sun nickte, als hätte Bosch keine Frage gestellt, sondern beantwortet.
    »Was schmuggeln sie
jetzt
raus?«
    Es dauerte eine Weile, bis Sun antwortete.
    »Elektronische Geräte. Amerikanische DVD s. Manchmal Kinder. Mädchen und Jungen.«
    »Und wohin?«
    »Das hängt davon ab.«
    »Wovon?«
    »Wofür Abnehmer sie haben wollen. Zum Teil für Sex. Zum Teil für Organe. Viele Festlandchinesen kaufen Jungen, weil sie keine Söhne haben.«
    Bosch musste an das zerknüllte Stück Toilettenpapier mit dem Blutfleck denken. Eleanor hatte daraus den Schluss gezogen, dass sie Madeline ein Mittel gespritzt hatten, um sie gefügiger zu machen. Möglicherweise hatten sie ihr jedoch gar nichts injiziert, sondern nur Blut abgenommen, um ihre Blutgruppe zu bestimmen. Auch in diesem Fall könnten sie ihr nach dem Entfernen der Nadel das

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