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Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Titel: Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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beschlossen, Verstecken zu spielen, bis unsere Eltern fertig wären. Ich war als Erste mit Suchen dran und fand Melissa hinter dem Busch auf der rechten Seite der Veranda.«
    Sie deutete auf die Bildschirme, auf denen immer noch das Beweisfoto war. Ich merkte, dass wir vergessen hatten, Gleason den Laserpointer zu geben, mit dem wir den Gerichtsauftritt mit ihr vorbereitet hatten. Ich öffnete rasch Maggies Aktenkoffer, nahm ihn heraus und gab ihn Maggie, die ihn mit Erlaubnis der Richterin an Gleason weiterreichte.
    »Könnten Sie uns diesen Busch bitte mit dem Laserpointer zeigen, Sarah?«, fuhr Maggie darauf fort.
    Mit dem roten Lichtpunkt umkreiste Gleason einen dichten Busch an der Nordecke des Hauses.
    »Dort hatte sie sich also versteckt. Und Sie haben sie gefunden?«
    »Ja, und dann war sie mit Suchen dran. Ich versteckte mich an derselben Stelle, weil ich dachte, dort würde sie erst mal bestimmt nicht suchen. Als sie mit Zählen fertig war, kam sie die Treppe runter und blieb in der Mitte des Gartens stehen.«
    »Konnten Sie sie von Ihrem Versteck aus sehen?«
    »Ja, ich konnte sie durch den Busch sehen. Sie drehte sich im Kreis und suchte nach mir.«
    »Was geschah dann?«
    »Zuerst hörte ich einen Lkw vorbeifahren, und …«
    »Wenn ich Sie an dieser Stelle unterbrechen dürfte, Sarah. Sie sagen, Sie haben einen Lkw gehört. Haben Sie ihn denn nicht gesehen?«
    »Nein, von da, wo ich mich versteckt hatte, nicht.«
    »Woher wissen Sie, dass es ein Lkw war?«
    »Er war sehr laut und schwer. Ich konnte richtig spüren, wie der Boden vibrierte, wie bei einem kleinen Erdbeben.«
    »Aha. Und was geschah, nachdem Sie den Lkw gehört hatten?«
    »Plötzlich kam ein Mann in den Garten … und er ging direkt auf meine Schwester zu und packte sie am Arm.«
    Gleason senkte den Blick und legte auf der Ablage vor ihrem Sitz die Hände aneinander.
    »Sarah, kannten Sie diesen Mann?«
    »Nein, ich kannte ihn nicht.«
    »Hatten Sie ihn davor schon einmal gesehen?«
    »Nein.«
    »Sagte er etwas?«
    »Ja, ich hörte ihn sagen: ›Los, komm mit.‹ Und meine Schwester sagte … sie sagte: ›Aber wieso?‹ Das war alles. Ich glaube, darauf hat er noch etwas gesagt, aber das habe ich nicht verstanden. Er hat sie hinter sich hergezogen. Zur Straße.«
    »Und Sie blieben in Ihrem Versteck?«
    »Ja, ich konnte … ich weiß nicht, warum, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte nicht einmal um Hilfe rufen, ich war wie gelähmt. Ich hatte schreckliche Angst.«
    Es war einer dieser feierlichen Momente im Gerichtssaal, in denen bis auf die Stimmen von Staatsanwalt und Zeuge absolute Stille herrschte.
    »Haben Sie sonst noch etwas gehört, Sarah?«
    »Ich hörte, wie eine Tür geschlossen wurde, und dann hörte ich den Lkw wegfahren.«
    Ich sah die Tränen auf Sarah Gleasons Wangen. Der Deputy hatte sie offensichtlich ebenfalls bemerkt, denn er nahm eine Box mit Papiertüchern aus einer Schublade seines Schreibtisches und ging damit durch den Saal. Doch statt sie Sarah Gleason zu bringen, gab er sie der Geschworenen Nummer zwei, der ebenfalls die Tränen gekommen waren. Das war mir nur recht. Sollten die Tränen ruhig in Sarahs Gesicht bleiben.
    »Sarah, wie viel Zeit verging ungefähr, bis Sie hinter dem Busch hervorkamen, hinter dem Sie sich versteckt hatten, und Ihren Eltern erzählten, dass Ihre Schwester entführt worden war?«
    »Ich glaube, höchstens eine Minute, aber es war schon zu spät. Sie war weg.«
    Das Schweigen, das dieser Feststellung folgte, war die Art von Leere, in der ein ganzes Leben verschwinden kann. Für immer.

    In der nächsten halben Stunde begleitete Maggie Sarah Gleason durch ihre Erinnerungen an die darauffolgenden Geschehnisse. Der verzweifelte Anruf ihres Stiefvaters bei der Polizei, die Befragung durch die Detectives und schließlich die Gegenüberstellung, bei der sie aus ihrem Zimmer zu den drei Männern im Garten hinuntergeschaut und Jason Jessup als denjenigen identifiziert hatte, der ihre Schwester weggeführt hatte.
    Hier musste Maggie sehr vorsichtig sein. Wir hatten beeidete Zeugenaussagen aus dem ersten Prozess verwendet. Diese Gerichtsprotokolle waren auch Royce zugänglich, und ich hatte nicht den geringsten Zweifel, dass er seine Assistentin, die auf der anderen Seite von Jessup saß, damit beauftragt hatte, jedes Wort, das Sarah Gleason jetzt sagte, mit der Aussage zu vergleichen, die sie beim ersten Prozess zu Protokoll gegeben hatte. Wiche sie auch nur in einer Nuance von

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