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Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Titel: Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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dann der Verteidigung zur Befragung überlassen. Als Royce daraufhin ans Pult trat, hatte er eine dicke Akte und einen Notizblock bei sich. Das meiste davon – zumindest die Akte – diente wahrscheinlich nur dem Zweck, Gleason einzuschüchtern und ihr den Eindruck zu vermitteln, er hätte eine dicke Akte über alles, was sie in ihrem Leben falsch gemacht hatte.
    »Guten Morgen, Ms. Gleason.«
    »Guten Morgen.«
    »Sie haben gestern ausgesagt, dass Sie von Ihrem Stiefvater, Kensington Landy, sexuell missbraucht wurden, ist das richtig?«
    »Ja.«
    Schon aus dem ersten Wort von Gleasons Zeugenaussage sprach Nervosität. Sie hatte Royce’ Eröffnungsplädoyer nicht hören dürfen, aber wir hatten sie auf das vermutliche Vorgehen der Verteidigung vorbereitet. Ihr war die Angst vor dem Kommenden jetzt schon anzumerken, und das kam bei den Geschworenen nie gut an. Es gab wenig, was Maggie und ich tun konnten. Sarah war auf sich allein gestellt.
    »Wann begann dieser Missbrauch?«
    »Als ich zwölf war.«
    »Und er endete wann?«
    »Als ich dreizehn war. Unmittelbar nach dem Tod meiner Schwester.«
    »Ich stelle fest, Sie nennen es nicht den Mord an Ihrer Schwester, sondern ihren Tod. Hat das einen Grund?«
    »Mir ist nicht ganz klar, was Sie damit meinen.«
    »Ihre Schwester wurde doch ermordet, oder? Es war kein Unfall, richtig?«
    »Nein, es war Mord.«
    »Warum haben Sie dann gerade von ihrem Tod gesprochen?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Sind Sie sich vielleicht nicht hundertprozentig im Klaren darüber, was mit Ihrer Schwester passiert ist?«
    Maggie war aufgestanden, bevor Gleason antworten konnte.
    »Der Anwalt setzt die Zeugin unter Druck«, beanstandete sie. »Ihm geht es mehr um eine emotionale Reaktion als um eine Antwort.«
    »Euer Ehren, ich versuche nur herauszufinden, wie und warum diese Zeugin diese Straftat so sieht, wie sie das offensichtlich tut. Das fällt eindeutig unter ›Gemütslage der Zeugin‹. Es geht mir keineswegs darum, etwas anderes von ihr zu bekommen als eine Antwort auf die Frage, die ich ihr gestellt habe.«
    Die Richterin überlegte kurz, bevor sie entschied:
    »Ich werde die Frage zulassen. Die Zeugin soll sie beantworten.«
    »Ich werde sie wiederholen«, sagte Royce. »Ms. Gleason, sind Sie sich vielleicht nicht wirklich im Klaren darüber, was mit Ihrer Schwester passiert ist?«
    Während des Wortwechsels zwischen den Anwälten und der Richterin hatte Gleason etwas von ihrer alten Entschlossenheit zurückgewonnen. Sie antwortete mit Nachdruck und sah dabei Royce herausfordernd an.
    »Nein, ich bin mir sehr wohl im Klaren darüber, was passiert ist. Ich war dabei. Meine Schwester wurde von Ihrem Mandanten entführt, und danach habe ich sie nie wieder gesehen. Was diesen Punkt angeht, bestand für mich nie irgendeine Unklarheit.«
    Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte laut geklatscht. Stattdessen nickte ich nur. Es war eine sehr, sehr gute Antwort. Aber Royce machte einfach weiter und tat so, als wäre er nicht gerade mit einem faulen Ei beworfen worden.
    »Aber es gab in Ihrem Leben Zeiten, in denen Sie die Dinge nicht immer mit der nötigen Klarheit gesehen haben, oder täusche ich mich da?«
    »Was die Dinge angeht, die meine Schwester und ihr Schicksal und ihren Entführer angehen, muss ich das ganz entschieden verneinen.«
    »Ich meine hier Zeiten, in denen Sie in Nervenheilanstalten und Gefängnispsychiatrien waren.«
    Gleason senkte den Kopf. Ihr war endgültig bewusst geworden, dass sie in diesem Prozess nicht um eine Komplettdurchleuchtung ihrer vergeudeten Lebensjahre herumkäme. Ich konnte nur hoffen, dass sie so antworten würde, wie Maggie ihr eingeschärft hatte.
    »Nach dem Mord an meiner Schwester ging in meinem Leben vieles schief«, erklärte sie.
    Dann sah sie Royce direkt an und fuhr fort: »Ja, ich habe einige Zeit in solchen Einrichtungen verbracht. Ich glaube – und darin haben mich meine Betreuer bestätigt –, dass dies mit dem zusammenhing, was Melissa zugestoßen ist.«
    Gute Antwort, dachte ich. Sie wehrte sich.
    »Damit werden wir uns später noch genauer befassen«, sagte Royce. »Aber um noch einmal auf Ihre Schwester zurückzukommen: Sie war zwölf, als sie ermordet wurde, richtig?«
    »Das ist richtig.«
    »Damit wäre sie im selben Alten gewesen, in dem Sie waren, als Ihr Stiefvater begann, Sie sexuell zu missbrauchen. Ist das richtig?«
    »Ja, ungefähr im selben Alter.«
    »Haben Sie Ihre Schwester vor ihm gewarnt?«
    Darauf trat eine

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