Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
diesem Jahrzehnt geholt hatten.
»In dem Zeitungsartikel wurden schwere Vorwürfe gegen Turner erhoben. Unter anderem hieß es, er habe einen Privatdetektiv damit beauftragt, Informationen über Straftaten zu sammeln und an ihn weiterzuleiten. Wie ihr euch vielleicht erinnern könnt, hatte das zur Folge, dass Informationen, die wir von Gefängnisinsassen erhalten, inzwischen mit äußerster Vorsicht behandelt werden.«
»Aber«, flocht Haller ein, »es hat der Praxis, auf die Aussagen von Knastspitzeln zurückzugreifen, nicht grundsätzlich ein Ende bereitet, obwohl es das eigentlich hätte tun sollen.«
»Könnten wir uns vielleicht auf unseren Fall hier konzentrieren?« McPherson war von Hallers Einwürfen sichtlich genervt.
»Klar«, sagte Haller. »Richten wir den Blick lieber wieder auf das Wesentliche.«
»Wie dem auch sei, als die
Times
mit dem allem herauskam, war Jessup längst verurteilt und saß in San Quentin ein. Natürlich monierte er daraufhin ein Fehlverhalten seitens der Polizei und der Staatsanwaltschaft und stellte einen Revisionsantrag. Damit kam er jedoch nicht weit. Zwar gaben ihm alle Berufungsausschüsse insofern recht, dass Turner auf keinen Fall als Zeuge hätte hinzugezogen werden dürfen, machten aber zugleich auch geltend, dass seine Aussage nicht genügend Einfluss auf die Geschworenen gehabt hätte, um etwas an deren Entscheidung zu ändern. Die übrigen Beweise seien für einen Schuldspruch vollauf ausreichend gewesen.«
»Und damit hatte es sich«, sagte Haller. »Damit war es endgültig amtlich.«
»Ein interessanter Aspekt wäre in diesem Zusammenhang vielleicht noch, dass Felix Turner ein Jahr nach Erscheinen des
Times
-Artikels in West Hollywood ermordet wurde«, fuhr McPherson fort. »Der Mord wurde nie aufgeklärt.«
»Geschah ihm recht, würde ich sagen«, versetzte Haller.
Daraufhin geriet das Gespräch ins Stocken. Bosch nutzte die Unterbrechung, um wieder auf die Beweislage zu sprechen zu kommen und ein paar Fragen vorzubringen, die ihn schon die ganze Zeit beschäftigten.
»Existieren die Haare noch?«
McPherson brauchte einen Moment, um Felix Turner abzuhaken und sich wieder den Beweisen zuzuwenden.
»Ja, wir haben sie noch«, antwortete sie. »Dieser Fall ist inzwischen vierundzwanzig Jahre alt, wurde aber immer wieder angefochten. So betrachtet haben sich Jessup und seine juristischen Scharmützel sogar als hilfreich erwiesen. Er hat ständig neue Schriftsätze und Berufungsanträge eingereicht. Deshalb wurden die Beweise nie vernichtet. Umgekehrt ermöglichte ihm das natürlich auch, das Sperma auf dem Kleid einer DNA -Analyse unterziehen zu lassen. Aber grundsätzlich haben wir noch alle Prozessbeweise und können sie auch wieder vor Gericht verwenden. Jessup hat von Anfang an behauptet, die Haare wären ihm von der Polizei untergeschoben worden.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich seine Verteidigungsstrategie beim neuen Verfahren nennenswert von der unterscheiden wird, auf die er beim ersten Prozess und bei seinen Berufungsanträgen zurückgegriffen hat«, bemerkte Haller. »Er wird anführen, das Mädchen hätte unter Voraussetzungen, die alles andere als objektiv waren, eine falsche Identifizierung vorgenommen, und von da an wäre der Fall für die Polizei klar gewesen. Da sie keine relevanten Sachbeweise gegen ihn vorliegen hatten, deponierten sie einfach ein paar Haare des Opfers in seinem Abschleppwagen. 1986 haben diese Argumente bei den Geschworenen nicht gezogen, aber das war vor Rodney King und den Unruhen von ’92, vor O.J. Simpson, dem Rampart-Skandal und all den anderen Vorwürfen, mit denen sich die Polizei seitdem herumzuschlagen hatte. Jetzt wird diese Tour aber wahrscheinlich ganz gut ankommen.«
»Und wie stehen nun unsere Chancen?«, fragte Bosch.
Haller warf McPherson einen Blick über den Tisch zu, bevor er antwortete.
»Ausgehend von dem, was wir bisher wissen, glaube ich, dass in diesem Fall meine Erfolgsaussichten besser wären, wenn ich auf der anderen Seite stünde.«
Bosch sah, wie sich McPhersons Miene verfinsterte.
»Dann solltest du vielleicht besser die Seite wechseln.«
Haller schüttelte den Kopf.
»Nein, ich habe mich auf einen Deal eingelassen. Das mag vielleicht ein schlechter Deal gewesen sein, aber ich halte mich daran. Außerdem kommt es nicht oft vor, dass ich auf der Seite von Recht und Macht stehe. Daran könnte ich mich fast gewöhnen – selbst wenn ich auf verlorenem Posten stehe.«
Er
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