Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
bisschen aus wie du. Irgendwie der gleiche Typ.«
Und das gleiche Feuer, dachte Bosch. Er holte sein Handy aus der Tasche und schaltete es ein. Er zeigte ihr ein Foto von Maddie.
»Das ist ja wirklich erstaunlich«, sagte McPherson. »Sie könnten Schwestern sein.«
Bosch betrachtete das Foto seiner Tochter, als er sagte: »Sie hat im vergangenen Jahr einiges durchgemacht. Sie hat ihre Mutter verloren und ist von Hongkong nach Los Angeles gezogen. Deshalb musste sie natürlich ihren ganzen Freundeskreis dort aufgeben. Ich habe es erst mal mehr oder weniger ihr selbst überlassen, neue Kontakte zu knüpfen.«
»Umso mehr Grund, dass sie ihre Verwandten hier kennenlernt.«
Bosch nickte nur. Er hatte im vergangenen Jahr zahlreiche Anrufe seines Halbbruders abgewimmelt, in denen dieser ein Treffen ihrer Töchter vorgeschlagen hatte. Bosch war sich nicht sicher, ob der Grund seines Zögerns die möglicherweise entstehende Beziehung zwischen den Cousinen oder zwischen den beiden Halbbrüdern war.
Als McPherson merkte, dass dieses Thema damit für Bosch erledigt war, klappte sie ihren Tisch aus und zog ihre Akten hervor. Bosch machte sein Handy aus und steckte es ein.
»Sollen wir uns an die Arbeit machen?«, fragte er.
»Würde nicht schaden. Ich wäre gern vorbereitet.«
»Wie viel willst du ihr schon im Voraus sagen? Ich halte es für das Beste, zunächst nur über die Identifizierung zu sprechen. Wir lassen sie uns von ihr bestätigen und sehen, ob sie bereit ist, ein zweites Mal vor Gericht auszusagen.«
»Du meinst, wir sollen die Sache mit der DNA gar nicht zur Sprache bringen?«
»Zunächst jedenfalls nicht. Sonst könnte aus einem Ja rasch ein Nein werden.«
»Aber sollte sie nicht erfahren, auf was sie sich da einlässt?«
»Irgendwann schon. Das liegt alles lange zurück. Ich bin ihrer Spur gefolgt und kenne deshalb ihre Vorgeschichte. Sie hat einiges durchgemacht, aber wie es aussieht, hat sie sich irgendwann gerappelt. Wie stabil sie tatsächlich ist, werden wir vermutlich sehen, wenn wir mit ihr reden.«
»Dann entscheiden wir das spontan. Wenn ich den Eindruck gewinne, es ist okay, sollten wir ihr alles erzählen.«
»Gut, wenn du meinst.«
»Das einzig Gute ist, dass sie es nur einmal über sich ergehen lassen muss. Wir brauchen sie nicht auch noch für eine Vorverhandlung oder eine Grand Jury. Die Eröffnung der Hauptverhandlung gegen Jessup wurde bereits 86 verfügt, und diese Entscheidung hat der Supreme Court nicht revidiert. Deshalb können wir sofort mit dem Prozess beginnen. Wir brauchen sie nur ein einziges Mal, und damit hat es sich.«
»Sehr gut. Und beim Prozess bist du für sie zuständig.«
»Ja.«
Bosch nickte. Dem lag die Annahme zugrunde, dass sie eine bessere Staatsanwältin war als Haller. Es war schließlich Hallers erster Fall als Ankläger. Bosch war froh, dass beim Prozess Maggie die wichtigste Zeugin befragte.
»Und was ist mit mir? Wer von euch beiden wird mich übernehmen?«
»Ich glaube nicht, dass das bereits entschieden ist. Mickey geht davon aus, dass Jessup aussagen wird. Ich weiß, dass er darauf hofft. Aber wir haben noch nicht besprochen, wer für dich zuständig sein wird. Wenn mich nicht alles täuscht, wirst du den Geschworenen eine ganze Reihe von Zeugenaussagen aus dem Verhandlungsprotokoll des ersten Prozesses vorlesen müssen.«
Sie klappte den Ordner zu, und es sah so aus, als wären fürs Erste alle Fragen geklärt.
Den Rest des Flugs verbrachten sie damit, sich über ihre Töchter zu unterhalten und in den Zeitschriften aus ihren Sitztaschen zu blättern. Die Maschine traf früh am SeaTac ein, sie nahmen sich einen Leihwagen und machten sich auf den Weg nach Norden. Bosch fuhr. Das Auto war mit einem Navigationssystem ausgestattet, aber der Sachbearbeiter in der Reisestelle der Staatsanwaltschaft hatte McPherson eine ausführliche Wegbeschreibung nach Port Townsend mitgegeben. Sie fuhren nach Seattle hoch und nahmen die Fähre über den Puget Sound. Nachdem sie das Auto auf dem Fahrzeugdeck abgestellt hatten, stiegen sie aus und gingen auf einen Kaffee zum Duty-Free-Deck hoch, wo sie sich an einen freien Fenstertisch setzten. Bosch schaute aus dem Fenster, als ihn McPherson mit einer Beobachtung überraschte.
»Du bist nicht glücklich, oder, Harry?«
Bosch sah sie an und zuckte mit den Achseln.
»Es ist ein komischer Fall. Vierundzwanzig Jahre alt, und es geht damit los, dass der Täter im Gefängnis ist und wir ihn rausholen. Das macht
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