Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
Brusttasche trug. Darauf stand »Bill«. Er war ordentlich gekämmt und trug keine Brille. Ich sah Wagenschmiere unter seinen Fingernägeln, aber das, fand ich, ließe sich beheben, falls wir ihn in den Zeugenstand rufen sollten.
Bosch nahm einen der Stühle, die an der Wand standen, und stellte ihn so in die Mitte des Zimmers, dass er meinem Schreibtisch zugewandt war.
»Nehmen Sie doch Platz, Mr. Clinton«, forderte er den Mann auf. »Wir würden Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
Dann nickte mir Bosch zu. Das war das Zeichen, dass ich jetzt an der Reihe war.
»Zuallererst, Mr. Clinton, vielen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben, herzukommen und mit uns zu reden.«
Clinton nickte.
»Kein Problem. In der Werkstatt gibt es gerade nicht so viel zu tun.«
»Was genau machen Sie in der Werkstatt? Sind Sie auf irgendetwas spezialisiert?«
»Ja, wir restaurieren Oldtimer. Hauptsächlich englische Fabrikate. Triumph, MG , Jaguar, lauter Liebhaberstücke.«
»Verstehe. Was kostet ein Zwo-fuffziger Triumph TR heute so?«
Clinton sah zu mir auf. Dass ich eins der Autos kannte, auf die er sich spezialisiert hatte, überraschte ihn.
»Das hängt vom Zustand ab. Letztes Jahr habe ich ein richtig gut erhaltenes Modell für fünfundzwanzigtausend verkauft. Allerdings habe ich auch fast zwölftausend in die Restaurierung gesteckt. Und dazu noch eine Menge Arbeit.«
Ich nickte. »Ich hatte auf der Highschool mal einen. Hätte ihn wohl besser nie verkauft.«
»Sie wurden nur ein Jahr lang gebaut. Achtundsechzig. Deshalb sind sie bei Sammlern sehr begehrt.«
Ich nickte. Inzwischen hatten wir alles abgedeckt, was ich über das Auto wusste. Ich hatte mir den Wagen nur wegen seines Holzarmaturenbretts und des Klappverdecks zugelegt und war damit an den Wochenenden immer nach Malibu gefahren, um an den Surferstränden rumzuhängen, obwohl ich nicht surfen konnte.
»Na, dann wollen wir mal von ’68 nach ’86 springen, ja?«
Clinton zuckte mit den Achseln.
»Klar.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, wird sich Ms. McPherson Notizen machen.«
Clinton zuckte erneut mit den Achseln.
»Dann fangen wir gleich mal an. Wie gut erinnern Sie sich an den Tag, an dem Melissa Landy ermordet wurde?«
Clinton breitete die Hände aus.
»Na ja, wissen Sie, wegen allem, was damals passiert ist, erinnere ich mich ziemlich gut daran. Da wurde dieses Mädchen umgebracht, und dann stellte sich heraus, dass der Kerl, der es getan hatte, ein Kollege von mir war.«
»Das war vermutlich nicht ganz einfach für Sie.«
»Ja, eine Weile hat es mir ziemlich zugesetzt.«
»Und dann sind Sie darüber hinweggekommen?«
»Nein, nicht wirklich … aber ich habe aufgehört, ständig daran zu denken. Ich machte meine eigene Firma auf und alles.«
Ich nickte. Clinton erweckte einen glaubwürdigen und aufrichtigen Eindruck. Das war schon mal etwas. Ich sah Bosch an. Mir war klar, dass er Clinton etwas entlockt hatte, was seiner Meinung nach pures Gold war. Ich wollte, dass jetzt er weitermachte.
»Bill«, sagte Bosch. »Erzählen Sie uns doch ein bisschen über das Betriebsklima damals bei Aardvark. Die Auftragslage war doch ziemlich schlecht?«
Clinton nickte.
»Tja, was soll ich dazu sagen? Das Geschäft lief plötzlich nicht mehr so besonders. Die Sache war nämlich die: Die Stadt bestimmte, dass in den Nebenstraßen des Wilshire niemand mehr parken durfte, der keine Parklizenz hatte, verstehen Sie? Jedes Auto, das keine Plakette hatte, wurde abgeschleppt. Deshalb fuhren wir sonntagmorgens immer hin und schleppten während der Gottesdienste reihenweise Autos ab. Zuerst jedenfalls. Die Firma gehörte Mr. Korish, und erst mal hatten wir so viel zu tun, dass er einen zusätzlichen Fahrer einstellte und uns sogar Überstunden bezahlte. Es gab noch ein paar andere Abschleppdienste, und mit denen haben wir uns regelrechte Wettkämpfe geliefert, wer die meisten Autos erwischt. Wir hatten eine Tabelle, und wir waren ein Team.«
Clinton sah Bosch fragend an, ob er auch das Richtige erzählte. Bosch nickte und bat ihn, fortzufahren.
»Aber damit war dann plötzlich Schluss. Die Leute bekamen das natürlich mit und hörten auf, dort zu parken. Jemand hat sogar erzählt, dass sie in der Kirche durchgesagt haben: ›Nördlich vom Wilshire Boulevard bitte nicht mehr parken.‹ Und so hatten wir auf einmal nicht mehr zu viel zu tun, sondern zu wenig. Deshalb sagte Mr. Korish, dass er aus Kostengründen einen von uns entlassen müsste, vielleicht
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