Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
Trichter, hm?«
Wir zwängten uns in den überfüllten Lift. Maggie und ich waren uns nah genug, um uns zu küssen. Ich schaute ihr beim Sprechen in die Augen.
»Das ist nur, weil ich nicht verlieren will.«
16
Mittwoch, 24. Februar, 8:45 Uhr
N achdem er seine Tochter in der Schule abgeliefert hatte, wendete Bosch und fuhr wieder den Woodrow Wilson Drive hinauf, an seinem Haus vorbei und zu der, wie man sie im Viertel nannte, oberen Kreuzung mit dem Mulholland Drive. Sowohl der Mulholland als auch der Woodrow Wilson waren lange und kurvenreiche Bergstraßen. Sie kreuzten sich zweimal, am Fuß des Berges und oben auf dem Kamm, deshalb die Bezeichnung obere und untere Kreuzung.
Oben auf dem Berg bog Bosch rechts in den Mulholland Drive und folgte ihm bis zur Kreuzung mit dem Laurel Canyon Boulevard. Dann fuhr er an den Straßenrand, um zu telefonieren. Er holte sein Handy heraus und wählte die Nummer des SIS -Sergeants, die Shipley ihm gegeben hatte. Der Mann hieß Willman und war über den aktuellen Stand jeder SIS -Observierung im Bild. Die SIS konnte zeitgleich vier bis fünf verschiedene Fälle übernehmen. Um sie nicht durcheinanderzubringen, erhielt jeder ein Codewort, weshalb im Funkverkehr auch nie die richtigen Namen der Verdächtigen fielen. Die Jessup-Observierung hieß zum Beispiel Operation Retro, weil es sich um einen alten Fall und ein Wiederaufnahmeverfahren handelte.
»Hier Bosch, RHD . Ich bin der Chefermittler im Retro-Fall. Ich hätte gern den aktuellen Standort des Verdächtigen, weil ich gerade dabei bin, zu einem seiner Lieblingsplätze zu fahren, und sichergehen möchte, dass ich ihm dort nicht begegne.«
»Augenblick bitte.«
Bosch konnte hören, wie das Telefon beiseitegelegt wurde und der Sergeant sich über Funk nach Jessups Standort erkundigte. Die Antwort war von lautem Rauschen überlagert, als sie übers Telefon zu Bosch durchdrang. Er wartete auf die offizielle Antwort des Sergeants.
»Retro ist gerade in der Tasche«, berichtete er Bosch prompt. »Sie glauben, er pennt.«
In der Tasche
bedeutete, er war zu Hause.
»Dann habe ich ja nichts zu befürchten«, sagte Bosch. »Danke, Sergeant.«
»Keine Ursache.«
Bosch steckte das Handy ein und fuhr los. Nach ein paar Kurven erreichte er den Fryman Canyon Park und hielt an. Als er frühmorgens beim Schichtwechsel mit Shipley telefoniert hatte, hatte ihm der SIS -Mann mitgeteilt, dass Jessup erneut im Franklin und im Fryman Canyon gewesen war. Inzwischen platzte Bosch fast vor Neugier, was Jessup dort treiben mochte, zumal ihm Shipley auch noch erzählte, dass Jessup an dem Haus im Windsor Boulevard vorbeigefahren war, in dem die Landys gewohnt hatten.
Der Fryman Canyon Park war ein abschüssiges, stark zerklüftetes Gelände mit steilen Wegen und einem Parkplatz mit Aussichtspunkt, der ganz oben direkt am Mulholland Drive lag. Bosch war schon im Zuge mehrerer Ermittlungsverfahren dort oben gewesen und mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut.
Er parkte so, dass sein Auto nach Norden zeigte und das San Fernando Valley vor ihm lag. Es war ein relativ klarer Tag, und man konnte über das ganze Tal hinweg bis zu den San Gabriel Mountains sehen. Die heftigen Unwetter der letzten Januarwoche hatten den Himmel blank gefegt, und der Smog kroch erst allmählich wieder in die Talsenke.
Nach ein paar Minuten stieg Bosch aus und ging zu der Bank, auf der Jessup laut Shipleys Aussagen zwanzig Minuten lang gesessen und auf die Lichter der Stadt hinabgeblickt hatte. Bosch setzte sich und sah auf die Uhr. Um elf hatte er einen Termin mit einem Zeugen. Er hatte also noch mehr als eine Stunde Zeit.
An dem Platz zu sitzen, an dem Jessup gesessen hatte, verschaffte ihm keinerlei Ahnungen oder Einsichten, was der Verdächtige bei seinen nächtlichen Besuchen hier oben getan haben könnte. Er beschloss, auf dem Mulholland Drive zum Franklin Canyon weiterzufahren.
Aber im Franklin Canyon Park war es das Gleiche, ein großer natürlicher Rückzugsort inmitten einer unaufhaltsam wachsenden Stadt. Bosch fand die Picknicktische, von denen er von Shipley und den SIS -Protokollen wusste, aber auch hier kam ihm keine Idee, weshalb der Park eine solche Anziehungskraft auf Jessup ausübte. Er fand das Ende des Blinderman Trail und folgte ihm, bis seine Beine wegen der starken Steigung des Wegs zu schmerzen begannen. Er drehte um und kehrte zum Picknickbereich zurück. Jessups Aktivitäten blieben ihm weiterhin ein Rätsel.
Als Bosch auf dem Rückweg
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