Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen
Seiten auf zwölf und verlangte die Auswahl von sechs Ersatzleuten, weil sie kurzen Prozess machte mit Geschworenen, die sich danebenbenahmen, ständig zu spät kamen oder sich erdreisteten, während einer Zeugenaussage einzuschlafen.
»Ich habe gern einen ausreichenden Vorrat an Ersatzleuten, denn normalerweise brauchen wir sie«, erklärte sie dazu.
Die geringe Anzahl der peremptorischen Einreden und die hohe Anzahl der Ersatzleute zog Einsprüche sowohl seitens der Anklage als auch der Verteidigung nach sich. Darauf gestand die Richterin beiden Parteien zähneknirschend jeweils zwei Einreden mehr zu, machte sie aber zugleich darauf aufmerksam, dass sie auf keinen Fall zulassen würde, dass sich das Voir dire endlos hinzöge.
»Ich möchte, dass die Auswahl der Geschworenen bis Freitagabend abgeschlossen ist. Wenn Sie mir Knüppel zwischen die Beine werfen, kann ich das umgekehrt genauso. Notfalls werde ich Geschworene und Anwälte bis Freitagnacht hier einbehalten. Denn am Montagmorgen möchte ich die Eröffnungsplädoyers hören. Irgendwelche Einwände?«
Beide Parteien schienen gehörig eingeschüchtert von der Richterin. Sie hatte in ihrem Saal alles fest im Griff. Als Nächstes kam sie zum zeitlichen Ablauf des Prozesses. Die Zeugenaussagen würden jeden Morgen Punkt neun Uhr beginnen und mit einer neunzigminütigen Mittagspause und jeweils einer fünfzehnminütigen Pause vor- und nachmittags bis siebzehn Uhr andauern.
»Damit stehen uns täglich sechs Stunden für die Zeugenaussagen zur Verfügung«, erklärte sie. »Werden es mehr, habe ich die Erfahrung gemacht, lässt die Aufmerksamkeit der Geschworenen merklich nach. Deshalb belassen wir es bei sechs pro Tag. Es liegt also an Ihnen, jeden Morgen rechtzeitig zu erscheinen, damit wir pünktlich anfangen können, wenn ich um neun durch die Tür komme. Noch Fragen?«
Es gab keine. Darauf wollte Breitman von beiden Parteien wissen, wie viel Zeit sie in etwa für die Falldarstellung veranschlagten. Haller erklärte, er bräuchte, je nach Dauer der Kreuzverhöre seiner Zeugen, nicht mehr als vier Tage. Das war eine erste Spitze gegen Royce und seine Pläne, Sarah Ann Gleason zu attackieren.
Royce erklärte seinerseits, er habe nur zwei Tage veranschlagt. Daraufhin addierte die Richterin vier und zwei und kam nach ihrer eigenen Arithmetik auf die Summe fünf.
»Also, dann veranschlage ich für die Eröffnungsplädoyers am Montag jeweils eine Stunde. Wenn ich die Sache richtig sehe, heißt das, wir sind bis Freitagnachmittag durch und können am Montag zu den Schlussplädoyers übergehen.«
Keine Partei widersprach ihrer Rechnung. Der Gedanke, der dem zugrunde lag, war klar. Immer zügig vorangehen, und wo es ging, Zeit sparen. Selbstverständlich war ein Prozess eine unwägbare Angelegenheit mit vielen Unbekannten. Keine Partei war an die bei dieser Verhandlung gemachten Zusagen gebunden, aber jedem Anwalt war bewusst, dass er seitens der Richterin mit Konsequenzen zu rechnen hätte, wenn er den zügigen Ablauf des Prozesses aufhielt.
»Zum Schluss noch zu den Beweismitteln und zur Elektronik«, sagte Breitman. »Ich gehe davon aus, dass sich alle die Listen der Gegenseite angesehen haben. Diesbezüglich irgendwelche Einsprüche?«
Sowohl Haller als auch Royce standen auf. Die Richterin nickte Royce zu.
»Sie zuerst, Mr. Royce.«
»Ja, Euer Ehren, die Verteidigung legt Einspruch gegen die Pläne der Anklage ein, mehrere Bilder von Melissa Landys Leiche auf die Leinwände im Gerichtssaal zu projizieren. Dieses Vorhaben ist nicht nur barbarisch, sondern auch unseriös und reißerisch und leistet jeder nur erdenklichen Form von Voreingenommenheit Vorschub.«
Die Richterin drehte sich in ihrem Stuhl und sah Haller an, der noch stand.
»Euer Ehren, es ist geradezu die Pflicht der Anklage, die Leiche zu zeigen und die Straftat zu illustrieren, deretwegen wir überhaupt hier sind. Das Letzte, was wir beabsichtigen, ist, mit reißerischen Mitteln irgendeine Form von Voreingenommenheit zu schüren. Ich gebe Mr. Royce insofern recht, als es sich hier um eine schwierige Gratwanderung handelt, aber wir haben nicht vor, billige Stimmungsmache zu betreiben.«
Royce versuchte es mit einem anderen Argument.
»Dieser Fall ist vierundzwanzig Jahre alt. 1986 gab es noch keine Overheadprojektionen und auch sonst nichts von diesem ganzen Hollywoodschnickschnack. Ich finde, das verstößt gegen das Recht meines Mandanten auf ein faires Verfahren.«
Darauf hatte
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