Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Titel: Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
Vom Netzwerk:
verängstigtem Ton.
    Richterin Breitman ließ kurz den Kopf hängen, und ich wusste, warum. Es ging nicht voran. Wir wollten anfangen, und jetzt wurde der Ablauf verzögert, bevor auch nur die Eröffnungsplädoyers zu Protokoll genommen worden waren.
    »Schön, dann lassen Sie uns das schnell klären. Ich möchte, dass die Geschworenen auf ihren Plätzen bleiben. Auch alle anderen bleiben bitte, wo sie sind. Nur Ms. Tucci und die Anwälte und ich werden uns rasch in mein Zimmer zurückziehen, um zu sehen, worum es geht.«
    Als wir aufstanden, warf ich einen Blick auf meine Geschworenenliste. Es gab sechs Ersatzleute. Drei von ihnen hatte ich als pro Anklage eingestuft, zwei neutral und einen pro Verteidigung. Falls Tucci wegen irgendeines Fehlverhaltens, über das sie uns gleich unterrichten würde, als Geschworene entlassen würde, würde ihr Ersatz nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Das hieß, meine Chancen, dass sie durch einen Geschworenen ersetzt würde, der für die Anklage war, standen besser als fünfzig zu fünfzig, während die Wahrscheinlichkeit, einen Geschworenen zu erhalten, der für die Verteidigung war, lediglich eins zu sechs betrug.
    Als ich dem Tross ins Richterzimmer folgte, beschloss ich aufgrund dieses Umstands, im Rahmen meiner Möglichkeiten darauf hinzuarbeiten, dass Tucci als Geschworene entlassen würde.
    Im Richterzimmer ging Breitman nicht einmal hinter ihren Schreibtisch. Vermutlich hoffte sie, es wäre lediglich eine Bagatelle. Wir standen alle in der Mitte ihres Richterzimmers zusammen. Bis auf die Protokollführerin, die an der Seite auf der Kante eines Klappstuhls saß, um mitschreiben zu können.
    »Also, ab jetzt wird alles zu Protokoll genommen«, erklärte die Richterin. »Ms. Tucci, bitte sagen Sie uns, was Sie gesehen haben und weshalb Ihnen Bedenken gekommen sind.«
    Die Geschworene blickte zu Boden und hielt die Hände vor ihren Körper.
    »Heute Morgen, in der U-Bahn, hat ein Mann, der mir gegenübersaß, Zeitung gelesen. Er hielt sie so, dass ich die erste Seite gesehen habe. Eigentlich wollte ich gar nicht hinsehen, aber dann habe ich doch ein Foto des Angeklagten gesehen und auch die Schlagzeile.«
    Die Richterin nickte.
    »Sie meinen doch Jason Jessup, oder?«
    »Ja.«
    »Welche Zeitung war das?«
    »Ich glaube, die
Times.
«
    »Wie lautete die Schlagzeile, Ms. Tucci?«
    »Neuer Prozess, alte Beweise gegen Jessup.«
    Ich hatte zwar die aktuelle
L.A. Times
an diesem Morgen noch nicht gesehen, aber ich hatte den Artikel im Internet gelesen. Unter Berufung auf eine ungenannte Quelle, die der Anklage nahestand, hieß es dort, die Beweisführung gegen Jason Jessup werde sich zur Gänze auf Beweise aus dem ersten Prozess stützen und hier wiederum vor allem auf die Identifizierung des Täters durch die Schwester des Opfers. Für den Artikel zeichnete Kate Salters verantwortlich.
    »Haben Sie auch den dazu gehörigen Artikel gelesen, Ms. Tucci?«, fragte Breitman.
    »Nein, Euer Ehren, ich habe die Zeitung nur ganz kurz gesehen und sofort weggesehen, als ich das Foto bemerkt habe. Sie haben uns doch eingeschärft, nichts über den Fall zu lesen. Aber dann hatte ich es plötzlich direkt vor meiner Nase.«
    Die Richterin nickte nachdenklich. »Okay, Ms. Tucci, könnten Sie bitte kurz das Zimmer verlassen?«
    Die Geschworene ging nach draußen, und die Richterin schloss die Tür.
    »Eigentlich erzählt die Schlagzeile schon die ganze Geschichte«, sagte sie.
    Sie sah erst Royce und dann mich fragend an, ob einer von uns einen Antrag stellen oder einen Vorschlag machen würde. Royce sagte nichts. Ich vermutete, dass er die Geschworene Nummer zehn genauso eingestuft hatte wie ich. Möglicherweise hatte er jedoch nicht die Grundausrichtung der sechs Ersatzleute in Betracht gezogen.
    »Ich glaube, der Schaden ist bereits angerichtet, Euer Ehren«, sagte ich. »Sie weiß, dass es einen früheren Prozess gab. Jeder, der auch nur ein bisschen Ahnung von unserem Rechtssystem hat, weiß, dass man kein zweites Mal vor Gericht gestellt werden kann, wenn man einmal freigesprochen worden ist. Folglich weiß sie, dass Jessup schon einmal schuldig gesprochen wurde. Sosehr dies auch für die Anklage von Vorteil wäre, finde ich, dass sie fairerweise gehen sollte.«
    Breitman nickte.
    »Mr. Royce?«
    »Ich stimme mit Mr. Haller überein, was seine Einschätzung der Befangenheit der Geschworenen betrifft, aber nicht, was sein angebliches Bemühen um Fairness angeht. Er will sie lediglich loshaben,

Weitere Kostenlose Bücher