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Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen

Titel: Harry Bosch 16 - Spur der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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fertig war. Dann sagte sie Royce, dass er an der Reihe sei.
    Wie erwartet, verschob Royce sein Eröffnungsplädoyer auf die zweite Hälfte. Das hieß, er würde es erst halten, wenn die Verteidigung mit ihrer Falldarstellung begann. Das lenkte die Aufmerksamkeit der Richterin wieder auf mich.
    »Gut. Dann rufen Sie Ihren ersten Zeugen auf, Mr. Haller.«
    Ich kehrte ans Pult zurück, aber diesmal hatte ich meine Notizen und Ausdrucke dabei. Ich hatte die Woche vor der Auswahl der Geschworenen hauptsächlich mit der Vorbereitung der Fragen verbracht, die ich meinen Zeugen stellen wollte. Als Strafverteidiger bin ich es gewohnt, die Zeugen der Anklage ins Kreuzverhör zu nehmen und ihre von den Fragen des Staatsanwalts hervorgebrachte Aussage zu zerpflücken. Das ist etwas völlig anderes, als einen Zeugen direkt zu vernehmen und das Fundament für die Präsentation seiner eigenen Beweise zu legen. Ich muss gestehen, es ist leichter, etwas einzureißen, als es erst einmal zu errichten. In diesem Fall fiel der konstruktive Part jedoch mir zu, aber ich war gut vorbereitet.
    »Das Volk ruft William Johnson auf.«
    Ich blickte in den hinteren Teil des Gerichtssaals. Als ich ans Pult getreten war, hatte Bosch den Saal verlassen, um Johnson aus dem Wartezimmer für die Zeugen zu holen. Jetzt kam er mit dem Mann im Schlepptau zurück. Johnson war klein und dünn mit dunkelbrauner Haut. Er war neunundfünfzig, aber sein schlohweißes Haar ließ ihn älter aussehen. Bosch führte ihn durch die Schranke und deutete in Richtung Zeugenstand. Johnson wurde von der Protokollführerin rasch eingeschworen.
    Ich musste mir eingestehen, dass ich nervös war. Ich empfand das, was Maggie mir immer wieder zu beschreiben versucht hatte, als wir noch verheiratet gewesen waren. Sie hatte immer von der Beweis
last
gesprochen. Aber nicht in einem juristischen Sinn. Vielmehr hatte sie damit die psychische Belastung gemeint, als Vertreter der gesamten Bevölkerung auftreten zu müssen. Ich hatte ihre Argumente immer als scheinheilig abgetan. Der Staatsanwalt sitzt immer am längeren Hebel. Er ist der große Macher. Das ist keine Last, jedenfalls nicht im Vergleich zu der des Strafverteidigers, der ganz auf sich gestellt ist und die Freiheit eines Menschen in seinen Händen hält. Ich hatte nie verstanden, was sie mir damit zu vermitteln versucht hatte.
    Bis zu diesem Moment.
    Jetzt wurde es mir auf einmal klar. Ich spürte es. Gleich würde ich in Anwesenheit der Geschworenen meinen ersten Zeugen vernehmen, und ich war so nervös wie bei meinem ersten Prozess nach dem Jurastudium.
    »Guten Morgen, Mr. Johnson«, begrüßte ich den Zeugen. »Wie geht es Ihnen, Sir?«
    »Danke, gut.«
    »Das freut mich. Würden Sie mir bitte sagen, was Sie beruflich machen, Sir?«
    »Ja, Sir. Ich bin Betriebsleiter des El Rey Theatre im Wilshire Boulevard.«
    »›Betriebsleiter‹, was genau hat man sich darunter vorzustellen?«
    »Ich bin dafür verantwortlich, dass im Theater alles reibungslos funktioniert – von der Bühnenbeleuchtung bis zu den Toiletten, das alles fällt unter meine Zuständigkeit. Aber ich habe natürlich Elektriker, die sich um die Beleuchtung, und Installateure, die sich um die Toiletten kümmern.«
    Seine Antwort wurde mit höflichem Lächeln und verhaltenem Gelächter aufgenommen. Er sprach mit einem leichten karibischen Akzent, aber alles, was er sagte, war klar und deutlich zu verstehen.
    »Wie lang arbeiten Sie schon im El Rey, Mr. Johnson?«
    »Sechsunddreißig Jahre. Ich habe 1974 dort angefangen.«
    »Nicht übel. Herzlichen Glückwunsch. Waren Sie die ganze Zeit Betriebsleiter?«
    »Nein, ich habe mich langsam hochgearbeitet. Angefangen habe ich als Hausmeister.«
    »Ich würde jetzt gern auf das Jahr 1986 zu sprechen kommen. Damals haben Sie doch im Theater gearbeitet, ist das richtig?«
    »Ja, Sir. Damals allerdings noch als Hausmeister.«
    »Okay, und können Sie sich an den 16. Februar dieses Jahres erinnern?«
    »Ja, sehr gut sogar.«
    »Das war ein Sonntag.«
    »Ja, das weiß ich noch.«
    »Können Sie dem Gericht sagen, warum das so ist?«
    »Das war der Tag, an dem ich in dem Müllcontainer hinter dem El Rey die Leiche eines kleinen Mädchens gefunden habe. Es war ein schrecklicher Tag.«
    Ich schaute kurz zur Geschworenenbank. Alle Blicke waren auf meinen Zeugen gerichtet. So weit, so gut.
    »Kein Wunder, dass das ein schrecklicher Tag für Sie war, Mr. Johnson. Können Sie uns jetzt sagen, wie es dazu kam, dass Sie die

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