Harry Dresden 08 - Schuldig
Unter mir hörte ich, wie Thomas in ein durchdringendes Hohngelächter ausbrach, während er kämpfte. Hie und da peitschte ein Schuss von Murphys Pistole auf. Mir tat alles weh, und mein Körper nahm mir verdammt übel, dass ich ihn zwang, die Stufen hinaufzulaufen – vor allem meine Knie waren alles andere als begeistert. Wer so groß war wie ich, war für so etwas ganz schön anfällig.
Aber daran konnte ich im Moment auch nichts ändern, also ignorierte ich den Schmerz und kämpfte mich weiter voran. Lilys Schmetterling hielt mit mir Schritt und erhellte den Weg.
Ich hatte die längeren Beine und holte Charity ein, als sie fast das obere Ende der Treppe erreicht hatte. Molly schrie abermals. Es war ein Laut des reinsten Entsetzens, voller Leid und Schmerz. Doch ihre Stimme war schon äußerst nah.
„Ich komme, Schatz!“, keuchte Charity nach Luft schnappend. Sie war in exzellenter Verfassung, aber mir persönlich war kein einziges Fitnessprogramm bekannt, bei dem man in voller Kettenrüstung mit Helm und einem fetten Hammer mehrere hundert Meter einen Wendeltreppe hinaufflitzen musste. Auch ihre Beine waren müde geworden, und sie schwankte ein wenig, als sie oben an der Treppe angekommen war und sich in einem kurzen Gang mit einer niedrigen Decke wiederfand, der nach wenigen Metern zu einem offenen Torbogen führte. Durch diesen Bogen schien das kalte Licht einer Winternacht, Mondlicht auf Schnee, herein.
Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig, mir ihren Arm zu angeln und sie zurückzureißen, ehe eine schwere Türe so heftig zufiel, dass mir schier die Ohren klingelten und uns den Weg versperrte. Hätte ich Charity nicht aufgehalten, wäre sie höchstwahrscheinlich mit der Wucht eines heranrasenden Lastwagens getroffen worden. Noch während sie damit beschäftigt war, ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen, hörten wir, wie jemand einen schweren Riegel auf der anderen Seite der Tür vorschob. Charity drückte eine Hand gegen die Tür, die sich um keine Haaresbreite regte. Sie trat dagegen, was aber ebenfalls nicht die geringste Auswirkung zu haben schien.
Erneut schrie Molly in nächster Nähe, auch wenn der Laut durch die Türe gedämpft wurde. Doch diesmal war der Schrei kürzer, kläglicher.
„Molly!“, donnerte Charity.
Ich legte die linke Hand mit gespreizten Fingern auf die Tür, und sogleich durchfuhr mich das Gefühl einer Kraft, die durch sie strömte, sie mit Zaubern durchwirkte und ihr die Stärke verlieh, den größten Anstrengungen, sie zu öffnen, zu trotzen. Ich suchte nach einer Schwachstelle, nach einem wunden Punkt in der erbarmungslosen Magie der Tür, konnte aber keinen erkennen. Ich musste anerkennend eingestehen, dass der Schutzzauber, der auf der Türe lag, einfach makellos war. Er zog sich kalt und schön wie Eisblumen, die sich auf einem Fenster bilden, durch jede Faser der Tür. Die Magie des Winters, die ihre Kraft aus dem Herzen dieses Landes schöpfte. Mir stand nichts zur Verfügung, womit ich diese unglaublich subtile und komplexe Feenmagie hätte auflösen können.
Aber andererseits war es eben Feenmagie. Ich musste nicht subtil sein, um sie zu bezwingen.
„Charity!“, blaffte ich. „Das ist Feenwerk! Der Hammer!“
Sie warf mir einen Blick zu, und ich sah, dass sie begriffen hatte, worauf ich hinauswollte. Sie nickte.
„Gehen Sie von der Türe weg.“
Ich eilte weiter nach hinten, um ihr genügend Platz zu lassen, mit ihrem Hammer ordentlich auszuholen.
„Bitte“, flüsterte Charity, als sie einen festen Stand einnahm und die Waffen hob. „Bitte, Herr. Bitte.“
Charity schloss die Augen und atmete tief ein. Dann konzentrierte sie sich einzig darauf, den wuchtigsten Hieb, den sie in dem engen Gang irgendwie zustande bringen konnte, auszuführen. Sie holte mit ihrer Waffe wie mit einem Golfschläger aus, stieß einen Schrei aus und schwang den Hammer, wobei sie gleichzeitig einen Schritt nach vorn trat.
Vielleicht hatte Charity doch viel mehr Schmackes, als ich ihr je zugetraut hatte. Vielleicht war der Schutzzauber gegen kaltes Eisen besonders empfindlich. Vielleicht hatte es auch etwas mit Magie zu tun, und Charity schöpfte aus der unerklärlichen Kraftquelle, die allen Müttern zur Verfügung stand, wenn sich ihre Kinder in Gefahr befinden. Hölle, vielleicht war ja auch Gott auf ihrer Seite.
Wie auch immer. Die Trutztür aus unnachgiebigem Eis und böser, unerbittlicher Magie kreischte auf und zerbarst unter dem Hieb des Hammers wie zartes Glas.
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