Harry Dresden 08 - Schuldig
auch über etwas Seltsames, das dann seinen Weg in die Zeitung fand. Susan Rodriguez war Chefreporterin des Arcane gewesen, bis sie ihr Näschen in die falsche Story gesteckt hatte. Nun fristete sie ihr Leben irgendwo in Südamerika und kämpfte gegen die Infektion ihrer Seele an, die sie in eine Vampirin des Roten Hofes verwandeln wollte, während sie und ihre Halbvampirkumpel ihren Feldzug gegen ihre Möchtegernanwerber führten.
Als Lydia Stern ein paar Jahre zuvor Susans alten Job übernommen hatte, hatte sie in ihren Reportagen eine andere Herangehensweise gewählt. Sie untersuchte bizarre Ereignisse und fragte dann laut, warum die verantwortlichen Stellen sie ignorierten. Die Frau besaß einen scharfen Intellekt und einen durchdringenden Verstand, und beides ließ sie großzügig in ihren extravaganten Schreibstil einfließen. Sie scheute nicht davor zurück, sich in ihren Artikeln mit jedem anzulegen, der ihr in die Quere kam, vom Veterinäramt eines Provinznests bis zum FBI.
Es war eine verfluchte Schande, dass sie ihr Talent für ein berüchtigtes Schundblatt wie den Arcane vergeudete, anstatt für ein ehrbares Blatt in D. C. oder New York zu schreiben. Innerhalb von fünf Jahren hätte sie sicher ihre erste Nominierung für den Pulitzerpreis eingeheimst. Die zuständigen Beamten der Stadt hatten ein fast übernatürliches Talent entwickelt, sich in Luft aufzulösen, wenn sie sich auf Fälle stürzte, an denen ich nicht ganz unschuldig war. Niemand hatte besondere Lust darauf, der Nächste zu sein, den Lydia literarisch ausweidete. Ihr ging ein ständig wachsender Ruf voraus, ein echtes investigatives Grauen zu sein.
„Miss Stern“, sagte ich mit einer tiefen, bedeutungsschwangeren Stimme und ließ das „ss“ zischen. „Haben Sie wohl eine Sekunde für mich?“
Die Geißel des Midwestern Arcane wirbelte herum, um mir ins Gesicht zu blicken, und ihre Züge erstrahlten in einem puttenhaften Lächeln. Sie war nur knapp über eins fünfzig groß, angenehm mollig und konnte ihre asiatische Abstammung nicht verbergen. Sie hatte ein entzückendes Lächeln, dicke Brillengläser, lockiges, dunkles Haar und trug eine Jeansjacke über einem ausgebleichten Queensrÿche-T-Shirt. Grellpinke Schnürsenkel leuchteten an ihren Tennisschuhen. Sie besaß eine etwas atemlose, sich überschlagende Stimme, fast so, als müsse sie sich bei jedem Wort bewusst hindern, laut loszulachen. „Ha. Wusste doch, dass ich den richtigen Riecher hatte!“
„Möglich“, antwortete ich. Ich war Lydia gegenüber bis zu diesem Augenblick noch nie besonders mitteilsam gewesen. Wann immer ich das in der Vergangenheit gewesen war, war es für Reporter schlecht ausgegangen. Wann immer ich mit ihr sprach, pikten mich kleine Nadeln aus Schuld, die mich daran erinnerten, dass sie in ziemliche Schwierigkeiten geraten konnte, wenn mir das falsche Wort über die Zunge kam. Trotzdem waren wir bis jetzt immer gut miteinander ausgekommen, und ich hatte sie niemals belogen. Ich hatte mir gar nicht erst die Mühe gemacht, es zu versuchen. „Sind Sie gerade beschäftigt?“
Sie wies auf die Tasche, die an einem Gurt von ihrer Schulter hing. „Ich habe meine Aufnahmen und wollte mich gerade setzen, um mir ein paar Notizen zu machen.“ Sie legte den Kopf schief. „Warum fragen Sie?“
„Ich brauche einen Schläger, der ein paar Kerle für mich einschüchtert“, erläuterte ich.
Die Grübchen auf ihren Wangen vertieften sich. „Oh?“
„Ja“, sagte ich. „Tun Sie mir den Gefallen. Dann gebe ich ihnen zehn Minuten hierzu.“ Ich vollführte eine grandiose Geste in Richtung des Hotels um uns herum. „Sobald ich etwas Zeit dafür entbehren kann.“
Ihre Augen blinkten. „Einverstanden“, sagte sie. „Was soll ich tun?“
„Bleiben Sie einfach vor einer bestimmten Türe stehen und …“ Ich schmunzelte. „Seien Sie einfach Sie selbst.“
„Gut. Das kann ich.“ Sie nickte, und ihre Locken hüpften auf und ab. Dann folgte sie mir zu der Tür, hinter der man die Tochter meines Freundes in die Mangel nahm.
Ich öffnete die Tür, als gehöre mir das Hotel und spazierte in den Raum. Das Zimmer war nicht groß – vielleicht so groß wie ein Klassenzimmer in einer Grundschule. Am anderen Ende des Raumes sah ich ein Podest, das etwas dreißig Zentimeter vom Fußboden abgehoben war und auf dem Stühle hinter einem langen Tisch standen. Weitere Stühle standen diesem Tisch in ordentlichen Reihen gegenüber. Ein Schild, das man abgenommen
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