Harry Dresden 09: Weiße Nächte
tief ein. Es nutzte niemandem, wenn ich wie der letzte Idiot voller Zorn, dafür aber ohne jegliches Hirn angaloppiert kam. Ich atmete noch ein paarmal tief durch, bevor ich mich umdrehte und sah, wie Murphy zu mir herüberkam.
Sie umrundete den Wagen und blickte mir direkt ins Gesicht.
„Fertig?“, flüsterte sie kaum hörbar. „Oder willst du noch einen Truthahn braten, einen Spielplatz niederbrennen oder sonst was? Du könntest als Zugabe die Wölflinge von den Pfadfindern terrorisieren.“
„Danach könnte ich dir wahrscheinlich erklären, wie du am besten deinen Job erledigst“, ätzte ich, „nachdem wir die Leute begraben haben, die draufgegangen sind, weil wir hier rumstehen, anstatt uns auf die Socken zu machen.“
Sie kniff die Augen zusammen. Keiner von uns sah den anderen direkt an oder bewegte sich auch nur einen Millimeter. Es war keine lange Konfrontation, aber sie war verdammt hart.
„Nicht jetzt“, sagte sie. „Später. Dann werden wir reden. Das ist noch nicht vorbei.“
Ich nickte. „Später.“
Wir stiegen in den Käfer, Murphy startete den Wagen, und wir fuhren los. „Kann ich dich etwas fragen, während wir fahren?“
Ich berechnete im Kopf Entfernungen. Der Kommunikationszauber, den ich mit Elaine entwickelt hatte, hatte bis jetzt allenfalls ein paar Meter überbrücken müssen. Meist hatte ich ihn auf kürzeste Distanz eingesetzt. Ich war sicher, dass ich die Reichweite auf ungefähr eine Meile hochschrauben konnte – maximal. Es war nicht damit getan, einfach mehr Saft in den Spruch zu pumpen, aber es war dennoch ziemlich einfach. Das schenkte mir ein paar Minuten zum Durchatmen, während Murphy fuhr. Derweil konnte ich reden. Das würde mir sogar helfen, mich etwas von meiner Angst um Elaine abzulenken. Ah, Vernunft, du Verbannerin der Angst – oder zumindest du edle Spenderin eines Fleckchens mit Sand, in den ich meinen Kopf stecken konnte.
„Nur zu“, ermutigte ich sie. Ich schenkte Molly nicht die geringste Aufmerksamkeit, um dem Mädel die Zeit zu gönnen, sich zusammenzureißen und sich die vorangegangene Lektion nochmal durch den Kopf gehen zu lassen. Außerdem hasste sie es, wenn jemand sie völlig aufgewühlt sah.
„Warum glaubst du, deine Ex sei in Gefahr?“, fragte Murphy. „Ist es nicht wahrscheinlicher, dass sich dieser Skavis einfach verpisst, wenn er weiß, dass du hinter ihm her bist?“
„Wenn er allein operieren würde, klar“, pflichtete ich bei. „Dann wäre das das Gescheiteste. Doch er haut nicht ab. Er kämpft.“
„Was soll das heißen? Er hat Hilfe?“
„Er hat Rivalen“, sagte ich.
„Ja. Graumantel und Madrigal Raith.“ Murphy schüttelte den Kopf. „Aber was bedeutet das?“
„Denk doch mal wie ein Raubtier“, sagte ich. „Ein Raubtier hat seine Fänge in etwas Feines zum Fressen geschlagen.“
„Aasfresser?“, sagte Murphy. „Sie wollen ihm die Beute abknöpfen?“
„Ja“, sagte ich. „Ich glaube, das tun sie.“
„Du meinst Elaine?“, fragte Murphy.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Viel abstrakter. Der Skavis geht planmäßig vor. Er bringt Frauen mit magischer Begabung um. Er muss das nicht tun, um zu überleben – er kann schließlich jeden Menschen fressen.“
„Warum dann genau diese Ziele?“, fragte Murphy.
„Genau“, rief ich. „Warum? Hier geht es nicht um Nahrung. Ich glaube, der Skavis ist an Einfluss interessiert.“
„Einfluss?“, sprudelte es auf dem Rücksitz aus Molly heraus.
Ich drehte mich um und blitzte sie missvergnügt an, um ihr Interesse im Keim zu ersticken. „Innerhalb des Weißen Hofes“, erläuterte ich. „Dieses ganze Schlamassel ist vom Anfang bis zum Ende ein Machtkampf innerhalb des Weißen Hofes.“
Murph schwieg einige Zeit, um diese Informationen zu verdauen. „Dann … dann ist das weit größer als ein paar Morde in einigen Städten.“
„Wenn ich recht habe, schon.“
„Fahr fort.“
„Gut. Bedenke, dass die Vampire des Weißen Hofes es hassen, ihre Kämpfe offen auszufechten. Sie arrangieren Dinge. Sie setzen Strohmänner ein. Sie ziehen im Dunkeln die Fäden. Auseinandersetzungen sind für Loser.“
„Verstanden.“
Ich nickte. „Der Weiße König unterstützt die Friedensgespräche zwischen dem Rat und dem Roten Hof. Ich glaube, der Skavis will etwas demonstrieren – nämlich, dass nicht die geringste Veranlassung für Friedensgespräche besteht. Dass sie uns im Würgegriff haben und einfach fester zudrücken müssen.“
Murphy
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