Harry Dresden 09: Weiße Nächte
prangten Bissspuren und ein gutes Duzend hässlicher blauer Flecken und Schnitte. Auch weitere Nagelspuren waren dort zu finden, vier nebeneinander liegende Einstiche statt Kratzern.
Unter seinem Kimono war er offensichtlich fast schon qualvoll erregt.
Lara hielt neben ihm inne und verdrehte böse die Augen. „Madeline?“
„Ja, Ma’am“, sagte eine der Leibwächterinnen.
„Oh, alles um des Hungers willen.“ Sie seufzte. „Bringen Sie ihn bitte nach drinnen, ehe das Konklave zu Ende geht, sonst bringt sie ihn auf dem Weg nach draußen noch um.“
„Jawohl“, bestätigte sie und drehte sich zur Seite, um mit der Luft zu sprechen. Ich bemerkte ein Kabel, das zu einem Knopf in ihrem Ohr verlief.
Ich ging weiter die Reihe kniender Gefangener und eingesperrter Pixies ab und wurde bei jedem Schritt wütender.
„Sie sind aus freien Stücken hier, Dresden“, versicherte mir Lara nach ein paar Schritten. „Alle.“
„Dessen bin ich mir sicher“, antwortete ich. „Zumindest jetzt.“
Sie lachte. „Es besteht kein Mangel an Sterblichen, die sich danach sehnen, vor jemandem zu knien, Zauberer. Es war nie anders.“
Wir schritten an mehreren weiteren knienden Menschen vorbei, die halb betäubt und verwirrt in die Luft starrten, auch wenn sie nicht so schlimm dran waren wie der Mann gleich am Anfang. Wir gingen auch an Stellen vorbei, wo nur noch ein Pflock mit einem Seidenband zu sehen war.
„Ich bin sicher, die sind sich alle im Klaren darüber, dass sie heute Nacht draufgehen können“, knurrte ich.
Sie zuckte die Achseln. „Das kommt schon mal vor. Unsere Gäste brauchen nicht mal die Leichen entsorgen, da wir als Gastgeber dafür verantwortlich sind. Das hat zur Folge, dass sich einige unserer Gäste nicht im Zaum halten.“
„Du trägst die Verantwortung, schon klar.“ Ich umklammerte meinen Stab heftiger und zwang mich zu einem gleichgültigen Tonfall. „Was ist mit dem Kleinen Volk?“
„Sie sind auf unser Territorium eingedrungen“, erwiderte sie ruhig. „Die meisten von uns hätten sie einfach getötet, statt sie in unsere Dienste zu zwingen.“
„Ja. Du bist ein echtes Herzchen.“
„Wo Leben ist, ist auch Hoffnung, Dresden“, meinte Lara. „Die Politik meines Vaters hat sich in dieser Hinsicht drastisch geändert. Der Tod ist … so sinnlos, wenn man ihn vermeiden kann. Die Alternativen sind um einiges gewinn- und für alle Beteiligten nutzbringender, und aus genau diesem Grund versucht mein Vater auch, einen Frieden zwischen deinem und meinem Volk herbeizuführen.“
Ich sah zur Seite in die leuchtenden Augen eines kurzhaarigen, absolut liebreizenden Rotschopfs Anfang dreißig, deren Kimono immer noch offenstand, nachdem sich was auch immer an ihr erfreut hatte. Die Spitzen ihrer kleinen Brüste waren steif aufgerichtet, während sie keuchte und stöhnte. Ihre Bauchmuskeln zitterten. Hinter uns erstreckte sich die Reihe der Sklaven ins Dunkel. Vor uns säumte sie noch gut hundert weitere Meter. So viele.
Ich begann zu frösteln, doch die Gesichter der Frauen, die der Skavis und seine Rivalen getötet hatten, schossen mir durch den Kopf, und ich unterdrückte das Schaudern. Ich würde den Teufel tun und Lara wissen lassen, wie sehr mich das aus der Fassung brachte, wie schlecht mir bei dieser Darbietung der verführerischen Kräfte des Weißen Hofes wurde.
Der Weg wand sich weitere hundert Meter durch den Wald und endete an einem Höhleneingang. Er war nicht besonders groß, gruselig oder ehrfurchtgebietend. Es war einfach nur ein Spalt im fast vollständig glatten Fels am Fuß eines Baumes, aus dem das hypnotische Flackern von Flammen aus der Tiefe drang. Wachen warteten davor – in diskreter Entfernung im Wald, aber trotzdem deutlich sichtbar. Ich konnte auch einen Hochsitz ausmachen, auf dem sich dunkle Schatten regten. Andere beobachteten die Szenerie bewegungslos. Ich war sicher, dass noch weitere Wachen da waren, die ich nicht sehen konnte.
Lara drehte sich zu uns um. „Meine Herren“, sagte sie. „Wenn Sie so liebenswürdig wären, einen Moment hier zu warten. Ich werden jemanden schicken, sobald der Weiße König bereit ist, Sie zu empfangen.“
Ich nickte, stemmte meinen Stab auf den Boden, stützte mich darauf und schwieg. Ramirez folgte meinem Beispiel.
Lara warf mir einen kalten Blick zu. Dann wandte sie sich ab und stieg in die Tiefe hinab, makellos anmutig trotz ihrer Mörderabsätze.
„Du bist ihr schon mal begegnet“, bemerkte Ramirez
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