Harry Dresden 09: Weiße Nächte
sie hinter ihm vorbeischlich. „Beherrscht. Jugendfrisch. Ein Held des Weißen Rates, wie ich hörte.“ Sie hielt inne, um ihre Fingerspitze auf seinen Handrücken zu legen und erbebte sichtbar. „Ah, und Macht.“ Ihre Augen wurden noch einige Schattierungen heller, als sie ihre Inspektionstour beendete. „Meine Güte. Ich habe erst vor kurzem getrunken, und dennoch … vielleicht würden Sie ja gerne mit mir zum Anwesen fahren, und wir lassen Dresden laufen. Ich verspreche Ihnen, Sie bestens zu unterhalten.“
Ich erkannte den Ausdruck auf Ramirez’ Gesicht. Es war die Miene eines jungen Mannes, der sich nichts sehnlicher wünschte, als so komplexe Dinge im Leben wie Zivilisation, soziale Verhaltensregeln, Kleider und Sprachvermögen über Bord zu werfen und zu sehen, was dann geschah.
Das wusste auch Lara. Ihre Augen funkelten hell, und ihr Lächeln glich dem einer Schlange, als sie sich näher heranpirschte.
Aber Ramirez wusste offensichtlich ebenso gut über glänzendes Gold Bescheid. Ich hatte nicht gewusst, dass er ein Messer im Ärmel versteckt hatte, doch es blitzte in seiner Hand auf, als er die Spitze an Laras Gurgel drückte.
„Ich“, sagte er mit verhaltener Stimme, „bin kein Festessen.“ Dann sah er ihr in die Augen.
Ich hatte noch nie als Außenstehender einen Seelenblick gesehen. Es überraschte mich, wie kurz und einfach es aussah, wenn man es nicht selbst war, der bis in die Grundfesten seines Wesens erschüttert wurde. Beide starrten einander an, ihre Augen weiteten sich, und sie erzitterten. Lara wich einen Schritt von Ramirez zurück, und ihr Atem beschleunigte sich unmerklich. Mir jedoch entging das nicht, weil ich ja ein professioneller Ermittler war. In diesem Dekolleté hätte sie eine Waffe verstecken können.
„Falls Sie der Ansicht waren, dass mich das abschrecken würde“, keuchte Lara einen Augenblick später, „haben Sie sich geschnitten.“
„Nicht Sie“, antwortete Ramirez und senkte sein Messer. Seine Stimme war rau. „Sie wollte ich nicht abschrecken.“
„Weise“, flüsterte sie. „Für einen, der noch so jung ist. Ich gebe Ihnen den Rat, junger Zauberer, nicht so lange zu zögern, sollte sich jemand anderes als ich Ihnen auf die gleiche Weise nähern. Eine Jungfrau … ist für meine Art äußerst anziehend. Jemand wie Sie ist selten in diesen Tagen. Wenn Sie weniger zurückhaltenden Mitgliedern des Hofes die Gelegenheit bieten, die Sie mir gegeben haben, werden die sich zu Dutzenden auf Sie stürzen – und das ergäbe in der Öffentlichkeit ein schlechtes Bild von mir.“
Sie drehte sich wieder zu mir um und sagte: „Zauberer, Sie haben mein Ehrenwort auf sicheres Geleit.“
Ich neigte den Kopf und sagte: „Danke.“
„Dann erwarte ich Ihre Gesellschaft im Auto.“
Ich nickte ihr zu, und Lara scharwenzelte zu ihrem Bodyguard, der aussah, als müsse er einen nahenden Herzkasper niederringen.
Ich drehte mich um und fixierte Ramirez.
Er lief puterrot an.
„Jungfrau?“, fragte ich ihn.
Er lief noch röter an.
„Carlos?“, fragte ich.
„Sie lügt“, blaffte er. „Sie ist böse. Sie ist wirklich böse, und sie lügt.“
Ich rieb mir über den Mund, um mein Grinsen zu verbergen.
He. In Nächten wie diesen holte man sich die Lacher, wo immer man sie kriegen konnte. „Schon gut“, beschwichtigte ich. „Nicht wichtig.“
„Oh, und ob das wichtig ist“, wütete er. „Sie lügt! Ich meine, ich bin keine … ich bin …“
Ich rammte ihm den Ellenbogen in die Seite. „Konzentration, Galahad. Wir haben einen Job zu erledigen.“
Er atmete knurrend aus. „Richtig.“
„Du hast gesehen, was in ihr lauert?“, fragte ich.
Er erbebte. „Dieses blasse Ding. Ihre Augen … sie wurde immer geiler, und ihre Augen sahen immer mehr wie die Augen dieses Dinges aus.“
„Ja“, meinte ich. „Das ist ein Hinweis, wie kurz sie davor stehen, dich zu beißen. Du hattest es prima unter Kontrolle.“
„Glaubst du?“
Eine Frotzelei konnte ich mir dann doch nicht verkneifen. „Überleg doch mal. Wenn du es versaut hättest“, sagte ich, als Lara ins Auto glitt, ein langes, perfektes Bein nach dem anderen, „wärest du jetzt in der Limousine mit Lara und würdest dir die Kleider vom Leib reißen.“
Ramirez sah zum Auto und schluckte. „Äh. Ja. Das war knapp.“
„Ich habe schon einige Mitglieder des Weißen Hofs getroffen“, sagte ich. „Lara ist wahrscheinlich die gerissenste. Sie ist die zivilisierteste, modernste und
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