Harry Dresden 09: Weiße Nächte
letzten, die sich vor den wütenden Angriffen der Ghule zurückzogen. Ihr kleiner Volvo von einer Kanone baumelte an einem Riemen von ihrer Schulter, und sie hielt meine .44er mit beiden Händen, wodurch sie auf fast komische Weise viel zu groß für sie aussah.
„Ramirez hat ein Messer im Bauch“, sagte ich. „Du musst ein Auge auf ihn haben.“
„Er ist der andere Wächter, nicht?“
„Ja“, sagte ich. „Er ist schon durch das Tor.“
„Was ist mit dir?“
Ich schüttelte den Kopf und vergewisserte mich, dass mein Staubmantel noch den Großteil meines Körpers bedeckte. „Malvora ist noch da draußen. Möglich, dass er versucht, unser Tor zum Einsturz zu bringen oder irgendeinen anderen Spruch wirkt. Ich muss der letzte sein, der auf die andere Seite geht.“
Murphy bedachte mich mit einem zweiflerischen Blick. „Du siehst aus, als würdest du im nächsten Augenblick zusammenbrechen. Bist du in der Verfassung, weitere Magie zu wirken?“
„Da hast du recht“, gestand ich und hielt ihr meinen Stab hin. „Vielleicht solltest du es tun.“
Sie sah mich streng an. „Niemand mag Klugscheißer.“
„Machst du Witze? Solange sich Klugscheißer mit anderen unterhalten, lieben die Leute sie!“ Ich lächelte schief und meinte: „Verschwinde endlich.“
„Wie kommen wir wieder raus?“, wollte sie wissen. „Thomas hat uns hierher geführt, aber …“
„Er wird euch auch wieder zurückbringen“, sagte ich. „Oder einer der anderen. Oder Ramirez, wenn ihn nicht ein Idiot beim Versuch zu helfen umbringt.“
„Dir mag es egal sein, doch ich würde vorziehen, wenn du es tust.“ Sie strich mir über die Hand und schritt dann durch das breite Oval des Tores. Ich sah, wie sie durch knietiefen Schnee an Ramirez’ Seite eilte, der auf seinem ausgebreiteten Umhang im Schutz von schneebedeckten Fichten lag. Die Sklaven blickten verdutzt aus der Wäsche, was wenig verwunderlich war, und fröstelten, was mich bei ihrer Bekleidung auch nicht überraschte.
„Unsere Leute sind vollständig!“, rief ein Soldat Marcone zu. „Zwei Minuten, fünfzehn Sekunden!“
Er musste schreien. Die nächsten Ghule waren nur noch drei Meter entfernt und in einen erbitterten Kampf mit – in Ermangelung eines besseren Klischees – einem dünnen weißen Band aus Raiths verwickelt. Darunter befand sich auch mein Bruder mit seinen zwei wirbelnden Klingen.
„Los!“, befahl Marcone, und der Soldat trat durch das Portal. Marcone gesellte sich mit einer neuen Schrotflinte zu mir. „Dresden?“
„Warum sind Sie noch hier?“
„Wenn Sie es sich genau in Erinnerung rufen“, antwortete er, „habe ich mich bereit erklärt, Sie hier herauszuhauen. Ich gehe nicht eher, bis mir das gelungen ist.“ Er hielt kurz inne, bevor er anfügte: „Vorausgesetzt natürlich, dass dies in den nächsten zwei Minuten geschieht.“
Von meinem Standort aus konnte ich drei Bündel aus je zwei Blöcken C4 erkennen, deren Zünder in die weiche Oberfläche gedrückt waren. Alle waren mit einem altertümlichen Zeitzünder ausgerüstet. Es waren drei einfache Ladungen, die auf dem Höhlenboden lagen. Die anderen drei mussten an den Höhlenwänden sein. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zerstörung sie anrichten würden, aber ich war sicher, dass es nicht besonders spaßig sein würde, sich in der Nähe aufzuhalten, wenn sie in die Luft flogen. Doch die armen Ghule würden sich das Feuerwerk wohl aus nächster Nähe ansehen müssen.
„Thomas!“, rief ich. „Zeit zu gehen!“
„Los!“, donnerte Thomas, und die Vampire in seiner Begleitung lösten sich aus der Kampflinie und rannten aufs Portal zu. Mit Ausnahme einer hochgewachsenen Raithfrau, die …
Ich blinzelte. Heilige Scheiße. Es war Lara.
Die anderen Vampire flohen an mir vorbei durch das Tor, und Thomas und seine Schwester stemmten sich allein einer Horde vier Meter hoher Ghule entgegen. Sie stemmten sich ihr entgegen und hielten sie wirklich auf.
Ihre Haut schimmerte kälter und weißer als Gletschereis, und ihre Augen leuchteten silberhell, während sie sich mit unmenschlicher Eleganz so schnell fortbewegten, dass man ihnen mit bloßem Auge kaum mehr folgen konnte. Sein Säbel fuhr gleißend durch die Luft und zog einen Kondensstreifen aus Blut hinter sich her, und er untermalte dies zusätzlich noch mit vernichtenden Ausfällen mit seinem Kukri. (Ah, ja, das war der Name dieses nach innen gekrümmten Messers. Wusste doch, dass ich mich früher oder später daran erinnern
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