Harry Dresden 09: Weiße Nächte
schnellen.“ Er schüttelte den Kopf. „Pah – und mich nennen die Leute einen Erpresser. Helen, könnten Sie bitte Bonnie mit dem Dokument hereinschicken?“
„Gewiss.“
Helen ging. Die vor Gesundheit strotzende Brünette Bonnie kam in ihrem ach-so-schicken Trainingsgewand mit einem Umschlag herein gehoppelt, schenkte mir ein Zahnpastalächeln und verkrümelte sich wieder. Marcone öffnete den Umschlag, fischte einen Stapel Papiere hervor und begann, sie durchzublättern. Er kam zur letzten Seite, drehte den Stapel um und schob ihn über den Schreibtisch. Dann zückte er einen Füller. „Hier der Vertrag, den Sie mir gefaxt haben. Wenn Sie bitte hier unterschreiben würden.“
Ich schlenderte zum Schreibtisch, schnappte mir den gesamten Stapel und begann, ihn ab Seite eins durchzulesen. Man unterzeichnete niemals einen Vertrag, den man nicht gelesen hatte, selbst wenn man kein Magier war. Wenn man jedoch einer war, war dies sogar noch wichtiger. Die Leute rissen Witze darüber, dass man seine Seele oder seinen Erstgeborenen verschachern konnte. In meiner Welt war das durchaus möglich.
Marcone schien das zu akzeptieren. Er legte die Finger zu einer Pyramide zusammen und wartete mit der Miene einer satten Katze einfach ab.
Es handelte sich um einen Standardvertrag, die Bürgschaft für einen Unterzeichner der Abkommen zu übernehmen, und auch wenn er neu abgetippt war, hatte Marcone kein Wort verändert. Höchstwahrscheinlich. Ich las weiter. „Haben Sie den Namen Demeter für Helen vorgeschlagen?“, fragte ich im Lesen.
Marcones Ausdruck blieb unverändert. „Ja.“
„Wie geht es Persephone?“
Er starrte mich an.
„Persephone“, fuhr ich fort. „Demeters Tochter. Der Herr der Unterwelt hat sie entführt.“
Marcones Blick wurde immer kälter.
„Er hat sie im Hades eingesperrt, doch Demeter überzog die Welt mit Eis, bis die anderen Götter ihn überzeugen konnten, Persephone ihrer Mutter zurückzugeben.“ Ich blätterte um. „Das Kind. Das im Koma liegt. Das Sie irgendwo in einem Hospital untergebracht haben und jede Woche besuchen. Es ist Helens Tochter, nicht? Das Kind, das bei einer Ihrer Schießereien ins Kreuzfeuer geriet.“
Marcone verharrte bewegungslos.
„In der Zeitung stand eigentlich, sie wäre getötet worden“, fuhr ich fort.
Ich las einige Seiten, ehe Marcone entgegnete: „Tony Vargassi, quasi mein Vorgänger, hatte einen Sohn. Marco. Marco war der Meinung, ich sei für seine Position in der Organisation eine Bedrohung. Er war der Schütze.“
„Aber das Kind ist nicht tot.“
Marcone schüttelte den Kopf. „Das brachte Tony in eine unangenehme Situation. Sollte sich das Kind erholen, hätte sie problemlos seinen Sohn als Schützen identifizieren können, und kein Gericht der Welt würde einen Schläger, der ein hübsches, kleines Mädchen über den Haufen geschossen hat, nicht hinter Schloss und Riegel bringen. Doch wenn das Kind starb und man dies zu Marco zurückverfolgen konnte, musste er mit einer Mordanklage rechnen.“
„Auf jemanden, der kleine Mädchen ermordet, wartet in Illinois die Giftspritze.“
„Genau. Zu dieser Zeit grassierte die Korruption …“
Ich schnaubte.
Marcones schwaches Lächeln kehrte für einen Moment zurück. „Verzeihung. Sagen wir doch stattdessen, dass die Vargassis ihren Einfluss auf die Mühlen der Justiz mit Nachdruck geltend machten. Vargassi ließ das Mädchen für tot erklären. Er überzeugte den Gerichtsmediziner, gefälschte Unterlagen zu unterschreiben und versteckte das Mädchen in einem anderen Krankenhaus.
Ich stieß ein Grunzen aus. „Wenn man Marco als den Schützen identifiziert hätte, hätte Tony einfach das Mädchen aus dem Hut gezaubert. Seht, sie lebt! Geplatzter Prozess.“
„Eine der Möglichkeiten“, erwiderte Marcone, „und wenn erst einmal Gras über die Sache gewachsen war, würde er die Akten einfach verschwinden lassen.“
„Zusammen mit ihr“, sagte ich.
„Ja.“
„Was ist mit dem alten Vargassi passiert?“
Marcones Zähne blitzten. „Sein derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Der Marcos ebenfalls.“
„Wann haben Sie das mit dem Kind herausgefunden?“
„Zwei Jahre später. Alles war ein abgekartetes Spiel, finanziert durch eine Stiftung einer Briefkastenfirma. Sie wäre einfach …“ Er wandte seinen Blick ab. „Einfach dagelegen. Für immer. Niemand hätte gewusst, wer sie war. Ihren Namen gekannt.“
„Weiß es Helen?“, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf und
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