Harry Dresden 09: Weiße Nächte
ist fast so stark wie ich“, antwortete ich leise, „und den Machtunterschied gleicht sie mit Eleganz aus. Ich bin mir nicht sicher, was passieren würde, wenn die Wächter je erführen, dass DuMorne einen zweiten Lehrling hatte. Aber es würde sicherlich Ärger bedeuten, und diese Entscheidung werde ich nicht für sie treffen.“
„Nur für den Fall, dass ich das nicht schon früher gesagt habe“, sagte Molly, „Die Wächter sind ein riesiger Haufen Arschlöcher. Anwesende ausgenommen.“
„Es gibt keinen einfachen Weg, ihren Job zu erledigen“, gab ich zu bedenken, ehe ich mich selbst verbesserte: „Unseren Job. Wie gesagt, Kleines: Nichts ist einfach.“ Ich kämpfte mich mühsam auf die Füße und machte mich auf die Jagd nach meinem Schlüsselbund und Mouses Leine. „Komm jetzt“, rief ich. „Ich fahre dich nach Hause.“
„Okay, und wohin fährst du?“
„Ich muss mit dem Ordo sprechen“, antwortete ich. „Anna hat alle Mitglieder bei Elaine untergebracht.“
„Warum rufst du sie nicht einfach an?“
„Das ist ein heimtückischer Angriff“, grinste ich. „Ich will Helen Beckitt nicht vorwarnen. Ich bin sicher, dass sie ihre Finger im Spiel hat, und es ist immer einfacher, Leute zum Reden zu motivieren, wenn man sie auf dem falschen Fuß erwischt.“
Molly schielte mit gerunzelter Stirn zu mir herüber. „Bist du sicher, dass du meine Hilfe nicht brauchst?“
Ich hielt kurz inne, um ihr einen bedeutungsvollen Blick zuzuwerfen, den ich dann zu dem Armband an ihrem Handgelenk schweifen ließ.
Sie biss die Zähne zusammen, nahm das Armband ab und hielt es mit trotziger Entschlossenheit hoch, wobei sie die Perlen unverwandt anstarrte. Drei Minuten und zwei Perlen später gab sie auf. Sie keuchte vor Anstrengung, und Schweißperlen hatten sich auf ihrer Stirn gebildet. Sie sah bitter enttäuscht und frustriert drein.
„Nichts ist je einfach“, sagte ich leise und knüpfte das Armband wieder um ihr Handgelenk, „und kaum etwas ist je leicht. Nur Geduld. Nimm dir einfach Zeit.“
„Du hast leicht reden“, sagte sie und stapfte mit dem Hund an der Leine zum Wagen.
Sie lag natürlich falsch. Ich hatte nicht leicht reden.
Das Einzige, was ich mir zu dem Zeitpunkt wünschte, war etwas zu Essen und ein Bett, bis sich mein Kopf wieder besser anfühlte. Doch das war im Moment keine Option.
Um wen es sich auch immer beim Skavis handelte, mir blieb nicht viel Zeit, bis er seiner Abschussliste ein weiteres Opfer hinzufügen würde.
18. Kapitel
D as Amber Inn ist eine Seltenheit in der Innenstadt von Chicago: ein Hotel mit moderaten Preisen. Es ist nicht groß oder ausgefallen, und es wurde auch von keinem Architekten mit mindestens drei Namen entworfen. Kein Erzverbrecher hatte es je besessen, darin gewohnt oder nach einer Maschinenpistolensalve sein Leben ausgehaucht. Da man somit keine Entschuldigung hatte, die Kunden zu Ader zu lassen, brauchte man somit auch keinen Termin bei seinem Kreditberater, wenn man ein Zimmer reservieren wollte, auch wenn das Amber Inn ziemlich zentral lag.
Es war die Art Hotel, nach der ich selbst immer die Augen offenhielt, wenn meine Arbeit mich einmal in eine fremde Stadt verschlug. In solchen Fällen bestand mein Job darin, Nachforschungen anzustellen und nicht die Annehmlichkeiten von Vier-Sterne-Hotels auszukosten. Mir war es einfach nur wichtig, möglichst nahe an meinem Einsatzgebiet zu wohnen, ohne eine unbezahlbare Rechnung zu fabrizieren. Ich weiß, dass viele Privatdetektive darauf bestehen, standesgemäß annehmbar zu residieren, aber ich finde das reichlich unprofessionell, und längerfristig auch schlecht fürs Geschäft. So lag es auch nahe, dass Elaine das Hotel gewählt hatte.
Ich fragte an der Rezeption nicht nach ihrem Zimmer. Das brauchte ich nicht. Ich befahl einfach Mouse, sie zu finden.
Mouse schnupperte in der Luft, und dann stapften wir einen Flur hinunter, als gehöre uns der Schuppen. Dieser Mut ist immer entscheidend. Er hält Leute davon ab, misstrauisch zu werden, wenn man in einem Gebäude herum tigert, und selbst wenn man sie sich so nicht von der Pelle halten kann, reagieren sie doch meist etwas vorsichtiger.
Schließlich blieb Mouse vor einer Tür stehen. Ich streckte die Hand aus, schloss die Augen halb und tastete nach Magie. Über der Tür lag tatsächlich ein Schutzzeichen. Dieses war nicht besonders ausgefeilt oder solide – das konnte es auch ohne Schwelle, an der man es verankern konnte, nicht sein –, doch es
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