Harry Dresden 09: Weiße Nächte
Murphy.
„Nein, Ma’am.“
Murphy warf Molly einen ungläubigen Blick zu und linste dann zu mir herüber.
„Sie meint es gut“, versicherte ich ihr. „Sie wollte nur helfen.“
Molly warf mir einen dankbaren Blick zu.
Murphys Tonfall wurde gutmütiger, als sie ihr die Handschellen abnahm. „Tun wir das nicht alle?“
Molly rieb sich ihre Handgelenke und verzog das Gesicht. „Ähm. Sergeant? Woher haben Sie gewusst, dass ich da war?“
„Knarrende Dielen, ohne dass jemand darauf steht“, sagte ich.
„Ihr Deo“, ergänzte Murphy.
„Du hast dein Zungenpiercing einmal gegen deine Zähne geschlagen“, sagte ich.
„Ich spürte eine leichte Luftbewegung, die sich nicht wie ein Luftzug anfühlte“, vervollständigte Murphy unsere Liste.
Molly schluckte und errötete. „Oh.“
„Aber wir haben dich nicht gesehen, oder, Murph?“
Murphy schüttelte den Kopf. „Nicht mal ein bisschen.“
Ein wenig die Luft aus dem Ego zu lassen und eine Prise Erniedrigung sind gut für Lehrlinge. Meiner seufzte erbärmlich.
„Nun“, sagte ich. „Wo du schon einmal da bist, kannst du auch genauso gut mitkommen.“ Ich nickte Murphy zu und wandte mich zum Gehen.
„Wohin?“, erkundigte sich Molly. Die beiden gelangweilten Sanis blinzelten und sahen verdutzt aus der Wäsche, als Molly mir aus der Wohnung folgte. Murphy trat hinter uns auf den Flur und wies die beiden an, den Leichnam fortzuschaffen.
„Wir statten einem Freund einen Besuch ab“, sagte ich. „Stehst du auf Polka?“
3. Kapitel
I ch war seit diesem Nekromantenkindergeburtstag zwei Jahre zuvor nicht mehr in dem forensischen Institut an der West Harrison gewesen. Wenn man bedachte, dass die Reste ehemaliger menschlicher Wesen hier darauf warteten, in diversen Untersuchungen zerpflückt zu werden, hatten wir es mit keiner allzu gruselig aussehenden Anlage zu tun. Es handelte sich um einen kleinen Industriepark, alles sehr schön, mit grünen Rasenflächen, ordentlich gestutzten Büschen und frisch gezogenen weißen Linien zwischen den einzelnen Parkplätzen. Die Häuser selbst waren unaufdringlich und zweckmäßig, ja fast schon schmuck.
Dennoch war es einer der Orte, die wiederholt in meinen Alpträumen an die Oberfläche brodelten.
Ich war nie ein großer Fan davon gewesen war, Leichen zu beäugen, doch ein Mann, den ich gekannt hatte, war hier in ein magisches Kreuzfeuer geraten. Er war als eine Art Superzombie wiederauferstanden, der mein Auto mit bloßen Händen fast in Einzelteile zerlegt hätte.
Seit damals war ich nicht mehr dort gewesen. Ich hatte Besseres zu tun, als Gedenkausflüge an Stätten wie diese zu machen. Aber als ich eintraf, den Wagen abstellte und auf die Eingangstür zuhielt, war es nicht so schlimm, wie ich es mir ausgemalt hatte. Ich betrat das Gebäude ohne Zögern.
Es war Mollys erster Besuch. Auf meine Bitte hatte sie sich all ihres Gesichtsschmuckes entledigt und eine alte Baseballkappe der Cubs über die wasserstoffblonden Locken gestülpt. Auch so machte sie nicht gerade den Eindruck einer respektablen Geschäftsfrau, dennoch war ich mit der Schadenskontrolle ganz zufrieden. Ich musste allerdings zugeben, dass mein eigenes Outfit auch nicht gerade vor Seriosität strotzte. Der schwere Ledermantel bei dem viel zu warmen Wetter ließ mich wahrscheinlich ganz schön bizarr wirken. Oder hätte es, wenn ich mehr Kohle verdient hätte.
Der Wachmann, der an dem Schreibtisch saß, an dem Phil damals gestorben war, erwartete mich, Molly aber nicht. Er informierte mich, sie werde ein wenig warten müssen. Ich erklärte ihm, dass auch ich so lange warten würde, bis Butters ihre Zugangsberechtigung bestätigte. Der Wachmann warf mir einen giftigen Blick zu, da ich ihn zu der monumentalen Anstrengung gezwungen hatte, eine Nummer in sein Telefon zu tippen. Er knurrte in den Hörer, grunzte einige Male, dann betätigte er einen Schalter, und die Sicherheitstüre öffnete sich surrend. Molly und ich gingen hindurch.
In diesem Leichenschauhaus befanden sich mehrere Untersuchungssäle, doch es war nie besonders schwer herauszufinden, in welchem sich Butters gerade befand. Man sperrte einfach die Ohren auf und lauschte nach Polka.
Ich hielt zielsicher auf ein beständiges Hum-Pa, Hum-Pa einer Tuba zu, bis ich auch eine verzerrte Klarinette gewürzt mit dem Gequietsche eines Akkordeons ausmachen konnte. Untersuchungssaal drei. Ich klopfte an, öffnete die Tür, trat jedoch nicht ein.
Waldo Butters war tief über seinen
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