Harry Dresden 09: Weiße Nächte
Schreibtisch gebeugt und linste zu seinem Computermonitor hinüber, während sein Hintern und seine Beine im Takt der Polkamusik hüpften. Er murmelte etwas in seinen Bart, nickte und betätigte die Leertaste seines Computers mit seinem Ellenbogen im Rhythmus tu seinem stampfenden Absatz, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. „He, Harry.“
Ich blinzelte. „Ist das ‚Bohemian Rhapsody’?“
„Yankovic. Der Mann ist ein Genie“, erwiderte er. „Gib mir eine Sekunde, hier alles herunterzufahren, bevor du reinkommst.“
„Kein Problem“, versicherte ich ihm.
„Du hast schon mal mit ihm zusammen gearbeitet?“, fragte Molly leise.
„Mhm“, sagte ich. „Er ist im Bilde.“
Butters wartete, bis sein Drucker zu knattern begann, schaltete dann den Rechner aus, ging zu dem Drucker hinüber, schnappte sich ein paar Seiten und heftete diese zusammen. Dann ließ er sie auf einen Papierstapel plumpsen und verschnürte diesen mit einem riesigen Gummiband. „Gut, das sollte reichen.“ Er wandte sich mit einem breiten Grinsen mir zu.
Butters war ein absonderlicher alter Kauz. Er war nicht viel größer als Murphy, und sie war vermutlich um einiges muskulöser. Der Schopf schwarzen Haares auf seinem Kopf ähnelte am ehesten einer Explosion in einem Stahlwollewerk. Er schien fast komplett aus Knien und Ellenbogen zu bestehen, was der grüne Chirurgenkittel noch unterstrich. Er hatte ein hageres, kantiges Gesicht, aus dem eine Hakennase ragte, und seine Augen blitzten hell hinter den Krankenkassengläsern seiner Brille hervor.
„Harry“, sagte er und streckte mir die Hand hin. „Lange nicht gesehen. Wie geht’s der Hand?“
Ich erwiderte seinen Händedruck. Butters besaß lange, gelenkige Finger. Sehr präzise und nicht im Mindesten kraftlos. Höchstwahrscheinlich hätte ihn niemand für gefährlich gehalten, aber der winzige Kerl hatte Mumm und Grips. „He, es waren kaum drei Monate, und um die Frage zu beantworten: nicht so schlecht.“ Ich hielt meine behandschuhte Linke hoch und wackelte mit allen Fingern. Mein Ring- und mein kleiner Finger zuckten nur schwach, doch bei Gott, sie bewegten sich, wenn ich es ihnen befahl.
Das Fleisch meiner linken Hand war im Verlauf eines plötzlichen Flächenbrandes während eines Kampfes mit einer Schar Vampire regelrecht geschmolzen. Die Ärzte waren geradezu bestürzt gewesen, dass nicht die Notwendigkeit einer Amputation bestanden hatte, doch sie hatten mich wissen lassen, dass ich sie nie wieder würde benutzen können. Butters hatte mich unter seine Fittiche genommen und mir ein striktes Physiotherapieprogramm auferlegt, und meine Finger funktionierten im Großen und Ganzen auch wieder ganz gut, auch wenn meine Hand immer noch furchtbar aussah – doch selbst das hatte sich geändert, na ja, zumindest ein wenig. Die hässlichen Klümpchen aus Fleisch und Narbengewebe hatten sich etwas zurückgebildet, wodurch meine Hand um einiges weniger wie ein geschmolzenes Wachsmodell aussah als noch vor einiger Zeit. Auch die Nägel hatten wieder zu wachsen begonnen.
„Gut“, sagte Butters. „Gut. Spielst du noch Gitarre?“
„Ich halte sie. Sie macht Lärm. Ich glaube, wir gehen ein wenig zu weit, wenn wir sagen, ich würde Gitarre spielen.“ Ich wies auf Molly. „Waldo Butters, das ist Molly Carpenter, mein Lehrling.“
„Lehrling, hm?“ Butters streckte ihr freundschaftlich die Hand hin. „Erfreut, deine Bekanntschaft zu machen“, sagte er. „Na, verwandelt er dich auch in Eichhörnchen und Fische und so wie in ‚Die Hexe und der Zauberer‘?“
Molly seufzte. „Schön wär’s. Ich gebe mein Bestes, ihn soweit zu bringen, dass er mir endlich zeigt, wie ich mich verwandeln kann, aber das tut er nicht.“
„Ich habe deinen Eltern versprochen, nicht zuzulassen, dass du dich in eine Schleimpfütze auflöst“, erwiderte ich ihr. „Butters, ich nehme an, jemand – und ich werde jetzt keine Namen nennen – hat dich informiert, dass ich vorbeischauen würde?“
„Jawoll“, bestätigte der kleine Mediziner nickend. Er hob einen Finger, schlich zur Tür und schloss sie, ehe er sich mit dem Rücken an das Holz lehnte. „Sieh mal, Dresden. Ich muss vorsichtig sein, welche Informationen ich weitergebe, verstanden? Das ist einfach eine Seite meiner Arbeit.“
„Klar.“
„Also hast du es nicht von mir.“
Ich sah Molly an. „Hast du was gehört?“
„In Ordnung“, sagte Butters. Er kam wieder zu mir herüber und hielt mir das Bündel
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