Harry Dresden 10 - Kleine Gefallen: Die dunklen Fälle des Harry Dresden Band 10 (German Edition)
säumten.
Dort standen drei Gestalten.
Die erste war ein Mann von Michaels Größe, der aber einen viel sehnigeren Körperbau besaß und einen extrem gefährlichen Eindruck machte. Er hatte dunkelgoldenes Haar, das ihm bis zu den Schultern fiel, und einen Bartschatten von einigen Tagen ohne anständige Rasur. Er trug einen dunkelblauen, sportlichen Anzug über einem weißen T-Shirt und hielt in jeder Hand ein Bronzeschwert eines gefallenen Hobs. Er musterte mich mit dem ruhigen, distanzierten Blick einer Raubkatze, und seine Zähne blitzten auf, als er mich erkannte. Sein Name war Kincaid, und er war ein Profikiller.
Neben ihm stand eine junge Frau mit langem, gelocktem, kastanienbraunem Haar und funkelnden blauen Augen. Ihre Jeans waren eng genug, um ein paar äußerst attraktive Kurven zu zeigen, doch nicht eng genug, um sie in ihrer Bewegungsfreiheit zu einzuschränken. Sie hielt einen dünnen, etwa eineinhalb Meter langen Stab in einer Hand, der ähnlich dem meinen mit Runen und magischen Zeichen beschnitzt war. Eine lange Plastikröhre, deren Verschlusskappe lose herabbaumelte, hing an einem Gurt von Kommandantin Luccios Schulter. Jede Wette, dass ihr silbernes Schwert darin verstaut war. Ich wusste, dass sich mörderische Grübchen auf ihren Wangen bildeten, wenn sie lächelte – doch wenn ich ihren Gesichtsausdruck richtig deutete, würde ich mich dieser Gefahr in absehbarer Zeit nicht aussetzen müssen. Ihre Züge waren hart und reserviert, auch wenn sie ihre lodernde Wut nicht vollständig verbergen konnte. Die Kommandantin war niemand, den ich auf mich wütend machen wollte.
Zwischen und etwas hinter den beiden Erwachsenen stand ein Mädchen, dass nicht viel älter sein konnte als die anderen Kinder, die in der Bahnhofshalle Zuflucht gesucht hatten. Sie war gut dreißig Zentimeter gewachsen, seit ich sie etwa fünf Jahre zuvor das letzte Mal gesehen hatte. Sie sah aus wie ein nett angezogenes, säuberlich gepflegtes Kind – mit Ausnahme ihrer Augen. In ihrem unschuldigen Gesicht schienen ihre Augen gruselig fehl am Platz zu sein, voller Wissen und der Last, die es mit sich brachte.
Das Archiv legte eine Hand auf Kincaids Ellbogen, und der gedungene Killer senkte seine Schwerter. Das Kind trat vor und sagte: „Hallo, Mister Dresden.“
„Hallo, Ivy“, antwortete ich und nickte ihr höflich zu.
„Wenn diese Geschöpfe auf Ihren Befehl hier waren“, meinte das Mädchen teilnahmslos, „werde ich Sie hinrichten lassen.“
Das war keine Drohung. Dafür lag zu wenig persönliches Interesse in ihrer Stimme. Das Archiv stellte einfach nur eine unveränderliche Tatsache fest.
Das wirklich Furchteinflößende daran war, dass ich äußerst wenig unternehmen konnte, sie aufzuhalten, sollte sie beschließen, mich umzubringen. Das Kind war nicht nur ein Kind. Sie war das Archiv, die fleischgewordene Erinnerung der Menschheit, ein lebender Speicher des gesamten Wissens der menschlichen Rasse. Ich hatte gesehen, wie sie ein gutes Dutzend der gefährlichsten Krieger des Roten Hofes getötet hatte, als sie sechs oder sieben Jahre alt gewesen war. Es würde ihr kaum größere Mühe bereiten, mich ins Jenseits zu befördern, als eine Packung Kekse aufzureißen. Das Archiv besaß MACHT – in Großbuchstaben. Sie spielte in einer völlig anderen Liga als ich.
„Natürlich waren sie nicht auf seinen Befehl hier“, sagte Luccio. Sie musterte mich mit einer hochgezogenen Braue. „Wie können Sie so etwas in Betracht ziehen?“
„Es erscheint mir unwahrscheinlich, dass ein Angriff dieser Größe etwas anderes darstellt als den willentlichen Versuch, mich zu töten oder zu entführen“, meinte das Archiv gelassen. „Mister Dresden ist zu diesem Zeitpunkt der Abgesandte des Winters in dieser Angelegenheit – und muss ich Sie daran erinnern, dass die Hobs dem Winter dienen – und somit Mab?“
Sie hatte mich nicht erinnern müssen, auch wenn ich diesen Gedanken für eine Weile von mir geschoben hatte. Die Tatsache, dass es sich bei den Hobs um Mabs Diener handelte, bedeutete, dass dieses Schlamassel noch verworrener war, als ich gedacht hatte, und dass es nun wahrscheinlich an der Zeit war, in Panik zu verfallen.
Aber immer der Reihe nach. Punkt eins: das unheimliche kleine Mädchen davon abhalten, mich zu töten.
„Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wer diese Dinger befehligt hat“, sagte ich leise.
Das Archiv fixierte mich eine endlose Sekunde durchdringend. Dann wanderte ihr uralter, strenger
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