Harry Dresden 10 - Kleine Gefallen: Die dunklen Fälle des Harry Dresden Band 10 (German Edition)
Bewegung den Blick auf Dutzende kleiner Schnitte und Schrammen frei, die Zeugnis zahlloser, kleiner Grausamkeiten ablegten. Für ein Kind, das selbst noch nie große Schmerzen erlebt hatte, mussten sie allerdings der reinste Alptraum sein. All das – der Schmerz, die Hilflosigkeit und die Demütigung – würde Ivy bei weitem stärker treffen, da sie für das Mädchen etwas völlig Neues waren. Man konnte so oft man wollte behaupten, Schmerz sei einfach ein Teil dessen, was uns zu Menschen machte, doch wenn es um Kinder ging, war ich gerne ein verdammter Heuchler.
Manche Dinge sollten einfach nicht vorkommen.
„Sehen Sie?“, sagte der Herr der Denarier. „Sicher und unbeschadet, wie abgemacht.“
Mein Blick wanderte zu Nikodemus hinüber, der ungefähr zehn Sekunden davor stand, den Arsch vermöbelt zu bekommen …
… und ich erkannte ein befriedigtes Funkeln in seinen Augen, das meinen kampfeswütigen Reflexen einen abrupten Dämpfer erteilte.
Wie sie Ivy behandelt hatten, sollte nicht nur das Mädchen in die richtige Geisteshaltung versetzen, in der es für Einflüsterungen besonders empfänglich wäre.
Es war auch dazu gedacht, mich zu manipulieren. Es war nicht einmal so schwer zu verstehen, warum. Schließlich hatte ich mich selbst schon in einer Situation wie dieser befunden.
Es war für die Denarier nicht genug, des Schwertes habhaft zu werden. Sie konnten Fidelacchius ebenso wenig zerbrechen oder vernichten, wie es der Kirche möglich war, die dreißig Silbermünzen einzuschmelzen. Die Macht des Schwertes war nicht auf seine physische Existenz beschränkt, und solange es von jemandem geführt wurde, der ein reines Herz und reine Absichten hatte, würde es auch weit mehr als nur einer körperlichen Anstrengung bedürfen, um die Waffe zu zerstören.
Wenn man das Schwert natürlich, nur so zum Beispiel, einem Magier in die Hand drückte, der bekannt dafür war, selbst des Öfteren im Graubereich zu agieren, und der dafür berüchtigt war, die Selbstkontrolle zu verlieren und dabei vielleicht das eine oder andere Gebäude niederzubrennen, änderte das die Ausgangssituation grundlegend. Wenn man ihn jetzt auch noch in eine haarige Situation schubste, ihm einen richtig guten Grund gab, wütend zu werden und eine magische Waffe in bequemer Griffweite platzierte, dann würde er diese wahrscheinlich in einem Anfall gottgerechten Zornes auch ergreifen – auch wenn er dies genau genommen nicht aus reinen Beweggründen tun würde. Schließlich war ich ja allem Anschein nach in Frieden hier aufgekreuzt, um das Schwert als Opfer für das Leben eines Kindes darzubieten. Wenn ich nun aber genau diese Waffe ergriff, um stattdessen auf Nikodemus und Konsorten loszugehen, würde ich, der rechtmäßige Träger, Fidelacchius, das Schwert des Glaubens, für einen Akt des Verrates missbrauchen.
Sobald ich das getan hatte, wäre das Schwert tatsächlich nur noch eine ganz gewöhnliche Waffe, ein Gegenstand aus Holz und Stahl. Sie brauchten jemanden, dem ein Fehler unterlief, der eine Entscheidung fällte, um das Schwert zu vernichten, genau wie ein Träger einer Münze die Entscheidung treffen musste, diese aufzugeben, um sich von dem Gefallenen darin zu befreien. Sie brauchten jemanden, der ein Recht auf das Schwert hatte, um eben dieses Recht zu missbrauchen.
In einer stürmischen Nacht wie dieser hatte ich diesen Fehler bereits einmal begangen, als Michael mich gebeten hatte, Amoracchius für ihn zu tragen. Ich hatte das Schwert der Liebe in dem Versuch, meinen Arsch vor den Folgen meiner eigenen dummen Entscheidungen zu retten, benutzt und es dabei um ein Haar vernichtet. Wenn Thomas damals nicht eingegriffen hätte, wäre es auch tatsächlich zerstört worden – selbst wenn ich damals nicht die geringste Ahnung über unsere Verwandtschaft besessen hatte. Thomas jedoch sehr wohl. Selbst damals hatte er ein Auge auf mich gehabt.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Hie und da konnte ich mich schon ein wenig dämlich anstellen – vor allem, wenn es um eine Frau ging. Doch es bestand nicht die geringste Chance, dass ich so dämlich war, denselben schwerwiegenden Fehler zweimal zu begehen.
Aber …
Nikodemus wusste nicht, dass er mir bereits einmal unterlaufen war, nicht wahr?
Er kannte mich gut. Er wusste nur zu genau, wie wütend mich seine Taten gemacht hatten, wie ich reagieren würde, wenn ich sah, was er Ivy angetan hatte – und er zählte darauf, dass ich mich meinen Gefühlen hingab, um ihm dabei zu
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