Harry Dresden 10 - Kleine Gefallen: Die dunklen Fälle des Harry Dresden Band 10 (German Edition)
Kraft gekostet, wie ein Nachmittagsspaziergang, von dem man besonders hungrig wieder nach Hause kam.
Für gewöhnlich nährten sich Vampire des Weißen Hofes durch Sex. Sie konnten in anderen Begierde erwecken und ihre Opfer mit einer Woge primitiver, unstillbarer Lust überwältigen. Wenn er gewollt hätte, hätte Thomas das Mädchen an Ort und Stelle lähmen und mit ihr anstellen können, was auch immer ihm in den Sinn kam. Sie hätte ihn nicht im Mindesten aufhalten können. Hölle, sie hätte ihn höchstwahrscheinlich angebettelt, ihr mehr desgleichen zu schenken und sich dabei bitteschön zu beeilen.
Er tat so etwas nicht. Nicht mehr. Er hatte diesen Teil seiner selbst über Jahre verzweifelt bekämpft und schließlich einen Weg gefunden, ihn unter Kontrolle zu zwingen – indem er sich von den Kunden eines noblen Schönheitssalons, den er besaß und höchstpersönlich leitete, das Äquivalent winziger, harmloser Happen zu Gemüte führte. Mich beschlich das Gefühl, dass dies, auch wenn ihm das erlaubte, die Kontrolle zu behalten und trotzdem noch seine Kräfte einzusetzen, bei weitem nicht so erfüllend war, wie sich die Kraft auf die althergebrachte Art einfach zu nehmen – indem er seine Opfer wie ein Raubtier belauerte und in einer Explosion aus Leidenschaft und Extase unterwarf.
Ich wusste, sein Hunger, dieser unmenschliche Teil seiner Seele, der durch pure Gier getrieben war, brüllte in seinen Gedanken, sich genau diesem Verlangen hinzugeben. Wenn er diesem Instinkt nachkam, konnte er dem Mädchen ernsthaft Schaden zufügen, es sogar töten. Das war nicht Thomas’ Art – aber seinen Hunger in Zaum zu halten kostete ihn einige Anstrengung. Es war ein erbitterter Kampf, und ich wusste, was tatsächlich dahintersteckte.
„Das Mädchen sieht Justine ein wenig ähnlich“, bemerkte ich.
Bei der Erwähnung des Namens blieb er wie vom Blitz getroffen stehen, und sein Ausdruck verhärtete sich. Langsam verdunkelten sich seine Augen wieder zu ihrer natürlichen Farbe. Thomas schüttelte den Kopf und warf mir ein zerknirschtes Lächeln zu. „Ach ja?“
„Genug“, sagte ich. „Alles in Ordnung bei dir?“
„Soweit möglich“, antwortete er. Er bedankte sich nicht bei mir, aber ich hörte den Dank in seinem Tonfall. Ich gab vor, es nicht bemerkt zu haben, und das erwartete er auch von mir.
Das war so eine Männersache.
Billie kam wieder zu uns herübergetänzelt. „Bitte hier entlang, meine Herren“, flötete sie mit einem fest ins Gesicht gekleisterten Lächeln. Etwas ängstlich führte sie uns durch den Trainingsraum und an dem Flur vorbei, der zu den Duschen und den abgetrennten „Therapieräumen“ führte. Die Tür, durch die sie uns führte, öffnete sich in einen schlichten, praktisch eingerichteten Gang, wie man ihn in jedem Bürogebäude fand. Sie nickte in Richtung der letzten Tür des Ganges, ein Eckbüro, und zog sich lautlos zurück.
Ich spazierte zu der Tür hinüber, klopfte einmal und öffnete sie, um dahinter Miss Demeter vorzufinden, die in ihrem riesigen, spartanischen Büro hinter einem riesigen, spartanischen Schreibtisch thronte. Sie war eine Frau mittleren Alters und bester Gesundheit, schlank, fabelhaft angezogen und äußerst reserviert. Ihr wahrer Name war nicht Demeter, aber sie zog diesen berufsbedingten Decknamen vor, und jetzt war absolut nicht der Zeitpunkt, sie zu reizen.
„Miss Demeter“, grüßte ich sie in einem indifferenten Tonfall. „Guten Tag.“
Sie schaltete ihren Laptop aus, klappte ihn zu und packte ihn in eine Schublade, ehe sie aufblickte und mir ruhig zunickte. „Mister Dresden. Was ist mit Ihrem Gesicht passiert?“
„Das ist immer so“, antwortete ich. „Ich habe nur heute Morgen vergessen, mich zu schminken.“
„Ah“, sagte sie. „Wollen Sie sich nicht setzen?“
„Danke“, sagte ich. Ich setzte mich ihr gegenüber auf einen Stuhl. „Ich entschuldige mich, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe.“
Ihre Schultern fuhren einen Nanometer eines Achselzuckens hoch. „Es ist immer wieder schön, wenn mir jemand die Grenzen derer aufzeigt, die ich als Empfangspersonal eingestellt habe“, antwortete sie. „Was kann ich für Sie tun?“ Dann hob sie eine Hand. „Einen Moment, bitte. Erlauben Sie mir, die Frage anders zu formulieren. Was kann ich tun, damit Sie schnellstmöglich wieder verschwinden?“
Einem sensiblen Kerlchen hätte diese Anmerkung ein wenig weh getan. Wie gut, dass ich dort saß. „Ich suche
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