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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Rückzug. Ich nahm Frau Ungerer die Kaffeetasse ab und stellte sie zum übrigen Geschirr neben das Waschbecken. Während Zeller ihr die Hand gab, ließ ich meine Visitenkarte in seine offene Aktentasche fallen. An der Ecke des Tischblocks stießen wir fast zusammen, als er sich umdrehte. Während Isolde und Mechthild das Lehrerzimmer verließen, raunte er mir zu: »Nicht einmal nach Fingerabdrücken hat die Polizei hier nach dem Einbruch gesucht. Und dass Steffi bei Ihnen übernachtet hat, war natürlich eine Lüge.«

8
     
    Einem Zettel, den Mechthild Ungerer uns zeigte, entnahmen wir, dass Marquardt in der Thomas-Mann-Straße gewohnt hatte. Ich erinnerte mich, dass es in Fellbach östlich hinter Cannstatt nicht nur eine Sammlung von Musikerstraßen, sondern auch eine Handvoll Dichterstraßen gab, und zog meinen Stadtplan zu Rate. Der kürzeste Weg war über die Reinhold-Mayer-Brücke nach Cannstatt. Während ich fuhr, frage Isolde – auf dem Notsitz hinten zusammengefaltet – die technischen Daten ab. Mechthild war Anfang dreißig, acht Jahre jünger als Jürgen, seit fünf Jahren mit einem Lehrer verheiratet, hatte einen Sohn und arbeitete als technische Zeichnerin in einem Architekturbüro in München. Isolde konnte es nicht lassen, sich als Wahlmünchnerin zu outen, und hät te fast Mechthilds zaghaften Versuch abgewürgt, von den Problemen zu erzählen, die sie in der Pubertät gehabt und die sie in psychotherapeutische Behandlung geführt hatten.
    »Mein Bruder ist mit achtzehn aus dem Haus«, flüster te Mechthild. »Danach hat sich die Liebe meiner Eltern ganz auf mich konzentriert. So was kann einen ersticken.«
    »Das stimmt«, sagte Isolde leidenschaftlich.
    Oh diese armen geliebten Kinder! Mich hatte nie jemand versucht mit Liebe zu ersticken. Mein Vater war ständig auf seinem Gebrauchtwagenhof und starb am Herzinfarkt, als ich sechzehn war. Meine Mutter setzte meine Erziehung in seinem Sinne fort, erbarmungslos mein Wohl verfolgend, das da lautete: Du heiratest ja sowieso, aber lass die Finger von den Männern. Ich erhielt eine Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin und Dauerwellen. Aus unerfindlichen Gründen erwählte mich der örtliche Junior-Saftfabrikant Todt Gallion, dessen Reichtum die Unkenrufe meiner Mutter über voreheliche Schweinereien zum Schweigen brachte. Doch war sie zufrieden, als Todt seinem Leben und meiner Ehe nach zwei Jahren mit seinem Auto an einem Birnbaum ein Ende setzte und mir die Narben und ein beachtliches Vermögen hinterließ. Meine Mutter ließ Messen lesen, und ich setzte mich nach Stuttgart ab.
    Marquardts Wohnung lag in einem B-Haus, das heißt, im Hinterhof eines Bauern, der sofort erschien, kaum hatten wir den Hof betreten, dessen Hauptfunktion darin bestand, einem weißen Mercedes Obdach zu gewähren. Der Bauer hatte sich vor nicht allzu langer Zeit entschieden, sein Grundstück mit Mietshäusern vollzuknallen. Er betrachtete uns, als hätten wir persönlich das Verbrechen begangen, das ihn zur Suche nach einem neuen Mieter zwang, die Polizei ins Haus gebracht und Kosten verursacht hatte. Mechthild hatte von der Polizei einen Schlüssel für die Wohnung bekommen, er nützte ihr aber nichts, denn der Vermieter hatte aus Furcht vor Kriminalität sofort das Schloss auswechseln lassen. Er ließ uns fünf Minuten im Nieselregen auf dem Hof stehen und verschwand im Vorhaus. Dann kam er mit dem Schlüssel, den er nicht aus der Hand geben wollte, und einer Handwerkerrechnung über tausend Euro für den Einbau der hochmodernen Schlösser, die er Mechthild Ungerer überreichte. Sie starrte begriffsstutzig auf die Zahlen. Isolde riss ihr die Rechnung aus der Hand und gab sie dem Vermieter zurück. Im Fenster des Vorhauses wackelte eine Gardine. Dahinter stand eine böse Alte.
    »Wenn Sie net zahle wolle«, sagte der Vermieter, »dann kann i Sie au net neilasse.«
    Isolde schnaubte. »Die Dame hier hat ihren Bruder verloren. Was sind Sie nur für ein Mensch?«
    Philosophische Überlegungen erschütterten den Mann nicht. »’s schtoht im Mietvertrag. Bei Verluschd des Schlüssels isch der Mieder verpflichtet, für die Koschde uffz’komme.«
    »In Ordnung«, sagte ich, »dann holen wir jetzt die Polizei. Die soll uns öffnen.«
    Über das festgebackene Gesicht des Alten huschten ein paar Basisüberlegungen. Dann setzte er sich endlich in Richtung Hinterhaus in Bewegung. »Aber so kommed Sie mir net davo.«
    Das Treppenhaus war ganz aus hellbeigefarbenem Stein und

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