Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
mehr legte er sich ins Zeug. Ich sei doch sonst nicht so schüchtern, man müsse doch die Gelegenheit nutzen, sich etwas bes ser kennenzulernen, und so weiter. Seine Frau beobachtete es mit gelinder Ungeduld, Richard mit Widerwillen.
    »Dann melden Sie sich wenigstens krank am Mon tag«, sagte Elsäßer endlich.
    »Und was ist mit der Story über den Schwulenclub?«
    Elsäßer knitterte die Stirn. »Nun machen Sie doch auch mal Feierabend. Schnaps ist Schnaps und Geschäft ist Geschäft. Nicht wahr, Richard?«

14
     
    Ich stellte Brontë ans Eck der Rotdornstraße. So konnte ich die Straße überblicken, ohne gleich gesehen zu werden. Wenn einem kalt ist, soll man nicht rauchen, aber Drogen aller Art helfen gegen Schmerzen. Dann kotzte mich der kalte Rauch im Wagen an, und ich kurbelte das Seitenfenster runter. So würde ich es keine Viertelstunde aushalten. Brontës Uhr am spartanischen Armaturenbrett zeigte zehn vor elf.
    Ich betrachtete den Verband und stellte mir Margots Knochenhand vor, wie sie den Stichel an ein Stückchen Marmor setzte und mit dem Klöppel tiefe Furchen, Lö cher und Grübchen schlug. Splitter spratzten, sandkornklein, herausgeschlagen aus dem Stein mit stählernen Nadeln, getrieben von schaffenswütiger Hand.
    Außerdem besaß sie als Turnlehrerin einen Schlüssel zum hinteren Schulhof. Ich stellte mir die Physiksammlung vor mit der kleinen windschiefen Frau Schneider und ihren Schubladen voller metallenem Zeug, spitz, lang, nadelartig. Die Strommarke auf meiner Fingerkup pe war zwar nicht mehr zu sehen, aber noch zu ertasten. Auch Schneider hatte einen Schlüssel. An meinem Hinterkopf schwelte außerdem die Stelle, an der mich Isoldes Parfümfläschchen getroffen hatte. Alles Beweise, dass ich in meiner Kindheit von meinem Vater, oder besser von meiner Mutter missbraucht worden war.
    Eine kaum merkliche Veränderung der Lichtverhältnisse in der Rotdornstraße lenkte mich von meiner Bewusstseinsdämmerung ab. Brontës Uhr war eine halbe Stunde weitergesprungen. Licht fiel auf den Fußweg drei Häuser weiter unten. Ein Mann in Trenchcoat mit Schulterklappen blickte kurz links und rechts und wandte sich dann abwärts. Ich wartete, bis er um die Ecke gebogen war, und startete Brontë. Richard schritt auf dem linken Gehsteig das Königssträßle entlang, rechter Hand die Sportplätze unterm Fernsehturm. Wenn er mit dem Königssträßle die Jahnstraße erreicht und überquert hatte, lag der direkte Weg zum Haigst hinab vor ihm, eine gruseldunkle, steile Waldstraße. Ich fuhr Brontë an den Randstein, stellte die Scheinwerfer aus und zählte langsam auf hundert: hundert Schritte, hundert Meter, Jahnstraße, Wald. Es ist nicht wahr, dass Männer keine Angst haben, wenn sie nachts allein durch den Wald müssen. Als ich vorgefahren kam, stand Richard wartend an der Ecke. Ich trat auf die Bremse. Er kam über die Straße und langte nach dem Türgriff.
    »Rutsch rüber, ich fahre.«
    Ich hatte meine Beine kaum über den Schaltknüppel auf die Beifahrerseite gewürgt, da saß er schon und griff Brontë ins Lenkrad. Die Gänge knirschten. Brontë muck te. Männer in fremden Autos! Meines hatte weder Servolen kung noch ABS. Bäume sprangen in die Scheinwerfer. Richard bekam Brontë nur knapp um die Kurve in die Jahnstraße.
    »Ein bisschen bockig, die Dame.«
    »Dein Schicksal«, sagte ich.
    Er lachte leise und häkelte sich durch die Gänge. »Weißt du, warum Elsäßer auf deine Schwulenclub-Story nicht anspringt? Er glaubt, du hast sie aus zweiter Hand. Er hält es für ausgeschlossen, dass sie dich in so einen Club reinlassen. Außerdem hat Margot ein deutliches Urteil über dich gesprochen: infantile Emotionalität mit querulatorischen Zügen, reduzierter Rationalität und ungenügender Ausformung der Persönlichkeit, deren Folge Hilflosigkeit ist, die sich hinter Trotz und Arroganz ver steckt, begleitet von starker Anlehnungsbedürftigkeit und einer verantwortungslosen Einstellung zum Beruf …« Er holte Luft. »… der Neigung zum Tagtraum, abenteu erlichem Verhalten und Sich-Hineinreden in selbstüberhö hende Rollen.« Er feixte zu mir herüber. »Kurz: Unrei fe.«
    »Der du nicht gewachsen bist, sagt Frau Müller-Elsäßer, denn das grob strukturierte Chaos meiner Weiblichkeit überfordert einen feinnervigen Bürohengst wie dich.«
    »Diese magersüchtige Krampfhenne«, knurrte Richard erfrischend selbstgerecht.
    »Und was wolltest du bei Elsäßer?«
    »Was du da wolltest, brauche ich wohl

Weitere Kostenlose Bücher