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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Knaben plötzlich in neuem Licht. Marquardt behauptete, der Junge habe sich den goldenen Schuss gesetzt, obgleich er sich nach Müller-Elsäßers Darstellung die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Vielleicht war Marquardt weniger ein schizoider Trottel gewesen als vielmehr ein raffinierter Zurechtlüger, der von Zeit zu Zeit Schüler beseitigte, die ihm hätten gefährlich werden können.
    Hatte mir nicht Fickfehler beim allerersten Gespräch angeboten, mir Marquardts Folterkeller zu zeigen? Au ßerdem hatte sein Mörder ihm die Hosen runtergezogen, damit die Schüler ihren Lehrer entblößt und entlarvt fanden.
    »Du glaubst doch nicht«, erkundigte ich mich, »dass Holzer Marquardt umgebracht hat, oder?«
    »Ich glaube gar nichts.«
    Er lenkte seine Limousine an den Bordstein. Die Fenster von Isoldes Wohnung waren immer noch dunkel. Es soll ja Leute geben, die fünf vor zwölf im Bett liegen und schlafen. Richard zögerte nicht und klingelte. Als er eben eine Zigarette aus der Schachtel gefischt hatte, ging oben das Licht an. Richard stauchte die Zigarette wieder zurück, ein Fenster ging auf, und Isolde schaute herab. Richard entschuldigte sich für die späte Störung. Die Diskrepanz zwischen Ton und Worten bewog Isolde, uns ohne Widerspruch heraufzulassen. Sie empfing uns in einem hellbeigefarbenen Morgenmantel, nackten Beinen, Socken an den Füßen, roter Nase und Entschuldigungen. Sie habe sich früh zu Bett gelegt, da sie eine Erkältung im Anmarsch fühle. Die Wohnung roch anders, unordentlicher, körperwarm, bewohnt.
    »Ich wäre Ihnen dankbar«, sagte Isolde, »wenn Sie es kurz machen würden.«
    »Ein bisschen Zeit müssen Sie schon erübrigen«, erwiderte Richard.
    Sie schob die Strähne hinters Ohr, während er ins Wohnzimmer durchmarschierte. Ich distanzierte mich grimassierend von dem Affen im Anzug und folgte dem Tross. Richard hatte schon Licht gemacht, stand am Glastisch und musterte Isolde mit einem Männerblick, der immer dann, wenn es ihm passte, leichthin das Urteil »Krampfhenne« sprach. Sie faltete sich in einem Sessel zusammen und zog den Bademantel über die nackten Knie.
    »Frau Ringolf …« Richard nahm auf dem Sofa Platz und löste den Knopf seines Jacketts. Ich genoss wieder einmal die Unverfrorenheit, mit der Männer ihren Körper ins Spiel bringen, wenn sie sich zu harten Verhandlungen niederlassen. »… ich muss Sie zunächst darauf aufmerksam machen, dass Sie nicht verpflichtet sind, Auskunft zu geben, wenn Sie befürchten, sich selbst oder eine Ih nen nahestehende Person zu belasten.«
    Isolde sah mich mit aufgerissenen Augen an. Sie trug ihre Brille nicht. Das gab ihrem Gesicht einen kindlich schlaftrunkenen Zug.
    »Er meint«, erklärte ich, »dass kein Weg daran vorbeiführt, dass du ihm sagst, wer dir den Tipp mit der Firmendurchsuchung gegeben hat. Elsäßer war es jedenfalls nicht.«
    Richard hob bei dem Du den Blick.
    Isolde fummelte an der Haarsträhne hinterm Ohr her um. »Ich verstehe nicht.« Sie ließ die Augen zwischen uns hin und her springen. Ein kleines Lächeln kräuselte ihre blassen Lippen. »Er … er war es doch selbst.«
    Richard lehnte sich zurück. Es gehörte schon was da zu, einen solchen Vorwurf, den sie mir im Streit serviert hat te, ins Gesicht des Staatsanwalts hinein zu wiederholen. Das hatte Stil. Entweder war Isolde um ein paar Grad härter, als ich gedacht hatte, oder sie sagte die Wahrheit.
    »Was bezwecken Sie mit dieser Behauptung, Frau Ringolf?«, fragte Richard.
    »So? Sind wir auf einmal wieder per Sie? Na schön. Ihre Einschüchterungstaktik zielt doch bloß darauf ab, Ihren Fehltritt zu vertuschen. Mein Gott, Männer! Ich habe es langsam satt, als Frau für alles verantwortlich gemacht zu werden, was ihr euch herausnehmt.« Zuletzt sah sie mich an. Auch Richards Augen wandten sich mir zu.
    Ich hielt ihren Blick fest. »Willst du eigentlich mich eifersüchtig machen oder ihn?«
    Mich irritierte allerdings momentan weniger Isoldes Versuch, Richard und mich gegeneinander auszuspielen, um sich für meine Verführung zu rächen, als vielmehr das Klima der Wohnung, dieser Brodem intensiver menschlicher Gegenwart.
    »Wer schläft hier eigentlich noch?«, fragte ich und sprang auf.
    Richard war augenblicklich an der Tür.
    »Was fällt Ihnen ein?«, schrie Isolde.
    Zu dritt fielen wir ins Schlafzimmer ein. Der Mann im Bett zog sich die Decke ans Kinn und langte nach einer eckigen Brille. Selbst mit wirren Strohstoppeln auf dem Schädel nahm er

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