Hartmut und ich: Roman
Treppenhaus. Es hallt. »Na, da kommen ja die Herren Wachtmeister!« Es schnauft noch ein wenig, dann erscheinen zwei Polizisten in der Tür. Der ältere Mann mit dem Schnäuzer von unten und ein junger Kollege mit gelocktem blondem Haar. »Tach, Klaus. Tach, Benedikt«, sagt Hartmut.
»Tach«, japsen sie und ziehen ihre Mützen ab.
»Kaffee ist fertig, Verpflegung wartet, Anpfiff war vor fünf Minuten«, sagt Jochen, der mit einem Spültuch in der Hand aus der Küche kommt und auf den Fernseher deutet.
»Prima!«, pustet Klaus weiter, wischt sich etwas Schweiß von der Stirn und setzt sich auf die Couch. »Zwanzig Minuten haben wir, die dürften wir offiziell brauchen, um dieses Haus hier gründlich nach Chaoten zu durchsuchen«, lacht er und nimmt dankbar die Tasse Kaffee entgegen. Benedikt entblättert derweil den Kuchen. Ich frage mich langsam, ob Jochen davon immer gleich 500 Packungen kauft. »Dann wollen wir mal hoffen, dass Dortmund in der Zeit ein Tor macht, was?«, lacht Jochen, und ich stehe immer noch hilflos im Zimmer, bis ich den Beamten vorgestellt werde.
Dortmund macht sein Tor. Als die Polizisten wieder gehen, lassen wir die Versteckten aus der Besenkammer. Sie gehen vorsichtig zum Fenster und müssen mit ansehen, wie unten nach und nach die Leute aus dem Kessel heraus abgeführt werden. Ihr ohnehin schon melancholischer Trainingsjackenausdruck verfinstert sich noch mehr.
»Kommt Leute, jetzt mal kein schlechtes Gewissen, weil ihr hier oben seid und die nicht. Nächstes Mal werdet ihr vielleicht geschnappt und vier andere stehen hier oben, also Kopf hoch!« Jochen knufft dem Jungen in die Schulter, und ein gequältes Lachen geht durch die Runde. »Ich weiß ja nicht, ob es euch aufmuntert, aber St. Pauli führt gerade gegen Bayern München!«, sagt Hartmut von der Couch, und ein spontaner, kindlicher Jubel bricht aus den Kids heraus, bis sie merken, dass sie sich nicht freuen dürfen. Trotzdem wird es danach besser. Jochen öffnet eine Schublade und holt ein wenig wohlriechendes Dope heraus. »Ich denke halt an meine Gäste«, sagt er und baut uns allen eine große Tüte.
Gegen Abend ist die Straße unten leer, und wir verlassen zusammen mit den Kids das Haus. Jochen kommt mit runter, um die Haustür abzuschließen. »Bis nächstes Mal«, sagt Jochen und meint uns alle damit. Dann drückt er Hartmut seine Tüte mit den Fernfahrer-Reportagen in die Hand, lächelt und schließt die Tür.
NACHTPROGRAMM
Ich kann nicht schlafen.
Ich liege in meinem Bett und starre in das orange Licht der Plastiklampenkette an der Wand. Nebenan im Wohnzimmer läuft der Fernseher. Ein kaum gedämpfter Singsang von Stimmen und Kanalwechseln dringt durch die dünne Tür aus Spanholz, die wir damals manuell in den offenen Durchgang zwischen den beiden Zimmern eingefügt haben. Die Vormieter hatten den Raum nebenan als Esszimmer genutzt, und meine Bude war die Heimat ihrer Couch, ihrer Sessel und ihres Fernsehers. Wo jetzt mein Kopf liegt, summte ihre Bildröhre. Und wo jetzt Hartmut sitzt und zappt, saß die Familie beisammen und hörte sich Vaters Klagen über die Arbeit im Dampf von Knödeln und Kohlrouladen an.
Ich drehe meinen Kopf zum Radiowecker. Es ist halb vier. Die blaue Stunde. Tiefste Nacht. Hartmut hört nicht auf zu zappen, schaltet sich durch die Programme und seufzt gelegentlich. Es klingt, als wären die Seufzer die einzigen Momente, in denen er überhaupt atmet.
Ich stehe auf und öffne leise die dünne Tür, die wie der Eingang zu einem Wohnwagen aussieht. Ich schaue ihn an. Er blickt nicht zurück, bemerkt mich natürlich, hält seinen Blick auf den Bildschirm gerichtet und wartet, bis ich was sage oder wieder verschwinde. Ich stöhne leicht. Er dreht den Kopf. »Kannst du nicht schlafen?«, fragt er, und schon bin ich entwaffnet und wütend. »Weißt du«, sage ich, »es soll mal einer die Theorie aufgestellt haben, dass sich zwischen den Kanälen eine andere Dimension befindet, die man nur erkennen kann, wenn man so schnell wie irgendmöglich zappt. Eine Dimension, die Erlösung verspricht. Ich vermute, du bist auf der Suche nach ihr.« Hartmut grinst und schweigt. Auf dem Bildschirm sind jetzt zwei Männer zu sehen, die im Wettbewerb Baumstämme durchhacken. »Guck mal, Lumberjack!«, sagt Hartmut und fügt hinzu: »Das ist doch wirklich mal was Feines, oder!? Nicht gut?« Hartmut hat so einen speziellen Blick drauf, wenn er in dieser Stimmung ist. Es ist, als würde er seinen Körper nur
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