Hartmut und ich: Roman
benutzen, um durch ihn zu sprechen und Dinge zu sagen, die er unmöglich so meinen kann, die aber vollkommen glaubwürdig klingen, als würde die Person dort auf der Couch, in der irgendwo Hartmut drinsteckt, es wahrhaftig so meinen. In diesen Momenten kann man nichts tun, es sei denn, man würde den Körper auf der Couch aufreißen und in seinem Inneren herumwühlen, bis man den lichtscheuen Hartmut rausgezerrt und mit ihm gemeinsam den Fernseher und die Couchkörperhülle ein für alle Mal entsorgt hat. Ich schüttele den Kopf, gehe aufs Klo, schleiche in mein Zimmer zurück, sehe, wie Hartmut auf dem Teppich kniend die Videosammlung im Regal durchsucht, und gehe wieder ins Bett.
Am nächsten Abend trägt mich die Hoffnung. Hartmut und ich sehen gemeinsam zwei Filme. Hintereinander. Wir trinken Bier und essen Chips, lachen an den falschen Stellen und beobachten nebenher, wie draußen vor dem Fenster Hans-Dieter mit seiner Katze zu den Mülltonnen geht und seine Säcke wegschmeißt, während die anmutige Haustigerin oben auf der Betonbehausung der Mülltonnen im Laternenlicht herumstolziert wie eine Diva auf dem Laufsteg. Gegen ein Uhr läuft der Abspann des zweiten Films, und als ich mit betont selbstverständlicher Geste aufstehe, um den Fernseher auszuschalten, sagt Hartmut die Worte, vor denen ich mich die ganze Zeit fürchtete: »Nee, lass ma’ noch ’n bisschen an.« Ich stehe drei Sekunden still vor dem Bildschirm und schaue ihn an. Er lässt sich nichts anmerken, trinkt an seinem Bier und tut, als wäre nichts gewesen. Als ich ins Bett gehe, läuft Angriff der Klapperschlangen auf RTL. Mit den Jingles der Telefonsexnummern in der Werbepause im Ohr schlafe ich ein.
Nach wenigen Tagen hat sich meine Wahrnehmung umgekehrt wie ein Schattenbild. Ich schlafe ein in dem immergleichen Gemurmel von Hartmuts Nachtprogramm und wache schweißgebadet auf, wenn er irgendwann den Fernseher ausschaltet und Stille eintritt. Die Stille bricht dann herein wie ein leiser Schreck und zerschneidet mit den plappernden Geräuschen des Fernsehers auch den Antriebsriemen meiner Träume. Die Bilder versiegen und der Motor kommt abrupt zum Stehen, ich wache auf mit einem Sausen in den Ohren und kann bis zum Morgen nicht mehr schlafen, weil ich mich plötzlich verwundbar fühle, so ganz ohne Geräuschwand um mich herum. Ich beginne zu verstehen, warum Hartmut nicht mehr aufhören kann. Doch bevor ich diesen Gedanken zu Ende bringe, schlafe ich doch noch mal ein.
Am Samstagnachmittag suche ich nach einem Buch, das bei Hartmut herumliegen muss, und gehe durch unser großes Bad zu seinem Zimmer. Ein Berg Wäsche liegt neben der Maschine. Alte Barthaare kleben in einer Lache aus Seife auf dem Waschbecken. Ein Handtuch liegt auf der Schwelle zwischen Hartmuts Raum und dem großen Bad, es schlängelt sich durch die halb offene Tür, als wolle es aus seinem Zimmer flüchten. Ich trete leise heran und klopfe.
»Hartmut?«
Nichts.
»Hartmuuut?«
Ich horche. Kein Schnarchen. Keine Geräusche vom Rumdrehen auf dem Bett. Ich will die Tür öffnen, doch sie klemmt ein wenig. Ich schiebe sie auf und sehe einen weiteren Berg Wäsche, der dahinter liegt und zwischen Tür und Kleiderschrank klebt. Der Schrank ist offen. Auf dem Boden liegen Ordner und Bücher durcheinander. Hartmut ist nicht da. Sein Computer ist an und flimmert leise, eine völlig obskure Homepage ist angewählt, irgendein belangloses Klatschmagazin, das Hartmut eigentlich nie lesen würde. Hartmut würde allerdings auch nie seine Ordner auf der Erde liegen lassen, ein paar Blätter herausgerissen. So zerstreut er auch meistens ist – er bringt seine Dinge in der Regel in Ordnung, zumindest seine Papiere, seine Bücher. Es gibt ein paar Dinge, die macht er einfach nicht. Klatschmagazine im Internet lesen. Handtücher in der Tür liegen lassen. »Neues von der Königsfamilie« steht auf dem Bildschirm. Ich beginne, mir Sorgen zu machen.
Am Sonntagmorgen höre ich das »Pfump!« des Fernsehers schon im Halbschlaf. Ich blinzele auf den Radiowecker. Es ist kurz vor zehn. Es muss erst fünf Stunden her sein, dass Hartmut ins Bett gegangen ist. Die Glotze muss noch warm gewesen sein, als sie wieder ansprang. Ich höre die überbetonten Stimmen von Figuren aus einer Kindersendung. Sie hüpfen durch meinen Schlaf wie kleine Wichtel, die um meinen Kopf schwirren und mich an Ohren und Augenlidern zupfen. Ich stehe mit verklebten Augen auf.
»Was soll das!?«, maule ich ins
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