Hartmut und ich: Roman
wegdrehen und mich umarmen. Doch er rührt weiter.
Dann sagt er: »Playstation zählt nicht, oder?«
Ich schüttele den Kopf. Die Station bleibt stehen. Spiele kann man nicht anschauen. Spiele muss man spielen. Hartmut nimmt das Glas mit Kakao und geht in Richtung seines Zimmers. Ich laufe hinterher und fange ihn im großen Bad ab.
»Was machst du jetzt?«, frage ich.
Er stellt das Glas auf den Schreibtisch, nimmt einen der Zettel von seinem Stapel, blickt auf und sagt: »Ich schreibe eine Geschichte!« Dann beugt er sich über seinen Schreibtisch und fängt einfach an.
LÖSUNGEN
Hartmut hat eine neue Freundin. Susanne. Susanne kniet in der Küche vor der Spülmaschine und spricht. Ihre Stimme klingt feucht und hohl, weil ihr Kopf in der Maschine steckt. Sie sagt: »Hier. Es war der Filter. Bah! Wie lange habt ihr den denn nicht mehr sauber gemacht?« Hartmut druckst herum. Ich sitze nebenan im Wohnzimmer und spiele Oh No! More Lemmings . Ich grabe einen Gang, damit meine Lemminge die Stampfpresse umgehen können. Ich sage: »Den haben wir noch nie gereinigt!« Ich kann hören, wie Hartmut nebenan rot wird, während er da neben seiner Freundin steht, die mit dem Kopf in der Maschine kniet und den Sudfilter herausholt. Ich glaube, er hasst mich.
Hartmut ist unausgeglichen geworden, seit Susanne bei ihm ist. Für Hartmut sind gewisse Zustände existenzieller Teil unserer Wirklichkeit, feststehende Faktoren, die man interpretieren, ertragen, deuten, aber doch nicht verändern kann. Dass unsere Dusche schimmelt, wird ihm hin und wieder zur Metapher des Verfalls, und wenn er sich in der zerkratzten Teflon-Pfanne Eier brät und seufzend über den zu erwartenden Krebsbefall im Rentenalter spricht, dann mag man ihm gar nicht sagen, dass man neulich im Globus ein schönes neues Exemplar für schlappe fünfzehn Euro gesehen hat. Ohne Kratzer. Ohne Krebs. Hartmut ist existenzialistisch. Susanne nicht.
Neulich saßen wir zu dritt im Wohnzimmer und sahen Videos. Als Hartmut zum dritten Mal aufgestanden und über den Teppich gerobbt war, um die Kassette per Hand vorzuspulen, atmete sie, setzte ein tatkräftiges Lächeln auf und fragte, warum Hartmut zum Recorder robbe, anstatt wie jeder moderne Mensch von der Couch aus den Spulvorgang vorzunehmen. »Fernbedienung kaputt!«, nuschelte ich, Kartoffelchips im Mund. Und Hartmut nickte auf dem muffigen Teppich. »Wie?«, sagte sie. »Wo ist die denn? Zeig mal her! Da finden wir doch bestimmt eine Lösung!« Hartmut stöhnte leise, als ich ihr den schwarzen Knüppel rüberreichte, doch das hörte nur ich. Hartmuts leises Leiden bemerkt man nur, wenn man ihn gut kennt. »Ah hier, korrodiert!«, sagte Susanne und deutete mit dem Finger auf die Kontaktspiralen für die Batterie. »Habt ihr ’ne Zange? Schere reicht auch schon!« Ich griff hinter mich auf die Ablage in der Ecke zwischen dem Sessel und der Couch, die wir aus vierzehn kleinen Paletten zusammengestapelt hatten, und friemelte die Schere aus einem Karton. Dreißig Sekunden später hatte Susanne die korrodierte Spitze der Spirale abgeknipst. Sie startete über Hartmuts Rücken hinweg das Video vom Sessel aus. Hartmut fuchtelte noch ein wenig mit den Fingern vor dem Recorder herum, als könne er nicht fassen, dass die Bedienung des Heimkinos fortan nicht mehr in kniender Position vonstatten gehen muss, und kroch dann geschlagen zum Sessel zurück.
Meine Lemminge sind der Todespresse entkommen. Susanne beugt sich durch den Perlenschnurvorhang ins Wohnzimmer und zeigt mir den siffigen Filter. Es tropft heraus und fließt in die Ritze zwischen Teppich und Fliesen. »Da!«, sagt sie, als solle uns das eine Lehre sein, aber sie weiß, dass bei mir nicht viel zu holen ist, dreht sich wieder zu Hartmut und schüttelt den Kopf. Nicht ich bin das Problem. Ich arbeite. Ich könnte, wenn ich wollte. Das weiß sie.
Am Wochenende repariert sie die Tischtennisplatte in der Scheune. Ich erfahre es von Hartmut, der in kurzer Hose im Wohnzimmer steht und schweigt. Es ist das Schweigen, das er voranschickt, wenn er etwas Aufwühlendes zu berichten hat. Ich warte und hebe den Blick von meinen Lemmingen. Er spricht: »Sie repariert die Tischtennisplatte.« Ich schweige. Er spricht lauter: »Sie repariert die Tischtennisplatte.« Der Pausenbildschirm flimmert. Die Musik läuft weiter. Easy Listening. »Was sagst du denn dazu?«, fragt er jetzt. Ich seufze: »Was soll ich dazu sagen?«
»Sie repariert die Tischtennisplatte!!!«, wiederholt
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