Hartmut und ich: Roman
er erregt.
»Das sagtest du schon«, sage ich.
Wir haben die Tischtennisplatte einst vom Sperrmüll an der Kreuzung rübergeschoben. Da, wo wir auch die Teppiche herhaben. Als wir sie in der Scheune hatten und das Licht anmachten, wussten wir, dass man damit nicht ernsthaft Tischtennis spielen konnte. Sie war von hinten wie von vorne verzogen und krumm. Man konnte sie nicht mal verkaufen. Doch wir können so was nicht einfach stehen lassen. Zumindest nicht an einem Montagabend, im Herbst, wenn es wenige Gründe gibt, rauszugehen und nach getaner Arbeit erst mal ein Bier zu trinken. Susanne repariert die Tischtennisplatte. Susanne baut die Tischtennisplatte auf. In der Scheune. Ich weiß, was Hartmut denkt. Hartmut denkt, dass unsere Scheune nicht dafür geschaffen wurde, in ihr Tischtennis zu spielen. Sie wurde dafür geschaffen, bis an die Decke mit dem Schrott aller Hausbewohner voll gestellt zu werden. Stinkende Möbel. Sandsäcke. Alte Mopeds. Bretter. Abgelaufene, volle Bierkisten. Spiegel. Teppiche. Sie wurde dafür geschaffen, dass man sein Rad nur ganz knapp hineinmanövrieren kann, dass einem die Bewegung, mit der man das Vorderrad einschlagen muss, damit das Rad überhaupt hineinpasst, in Fleisch und Blut übergeht und zum täglichen Denken und Fühlen gehört. Sie wurde dafür geschaffen, dass man über die Gerümpelberge klettern muss, um hinten an den Trödel zu kommen, und dass man jeden Schritt dieser Besteigung bis ins Kleinste beherrscht. Sie wurde dafür geschaffen, dass einem riesige Spinnen auf den Kopf fallen und man schreiend in altes Bauholz stürzt, während der andere sich im Tor stehend totlacht. Doch damit ist jetzt Schluss. All die Verrenkungen, all die Bewegungen, all die Verkrümmungen, die monatelang Teil unseres Lebens gewesen waren, hat Susanne nun aus unserer Wirklichkeit gerissen. Susanne hat den Sperrmüll angerufen. Susanne hat dafür gesorgt, dass Hartmut, Hans-Dieter und ich die Scheune freiräumen und die Spinnen wegmachen bis auf das letzte Netz. Hans-Dieter hat geschwitzt bei der Aktion und gelacht. »Es ist doch gut, wenn man das endlich mal macht!«, hat er gesagt und: »Herrlich, so viel Platz auf einmal. Und kumma hier, meine alten Creedence-Platten, ich glaub’s ja nicht! Ja, gerade wenn man nicht sucht, findet man’s! Ach, ist das schön, hier in dem Kabuff wieder Übersicht zu haben. Datt ist doch gut, wenn einen einer da mal in den Hintern tritt, was?« Und dann hat er Hartmut auf die Schultern geklopft wegen seiner Susanne, und Hartmut hat stur in den Raum gestarrt, als sehe er immer noch die Schuttberge in der freien Luft. Ich öffne eine Flasche aus dem drei Jahre alten Bierkasten. Es stimmt. Man kann es nicht mehr trinken.
»Dann wirst du wohl gleich da rübergehen und Tischtennis spielen müssen«, sage ich jetzt und blicke demonstrativ an Hartmuts Hüfte vorbei, um ihm zu signalisieren, dass er den Bildschirm freimachen soll. Hartmut seufzt. Hartmut geht Tischtennis spielen.
Die Scheune, die Spülmaschine, die Tischtennisplatte und die Fernbedienung waren nicht alles. Susanne machte keinen Halt. Sie richtete das Fenster im Lagerraum, von dem wir ausgingen, es nie mehr öffnen zu können. Das Rollo war immer unten. Für uns war es gar kein Fenster mehr, sondern nur ein schwarzes Loch in der Wand, ein auf ewig geschlossenes Auge des Hauses. Den Benzinfleck im Boden des Lagers sägte sie mitsamt der Spanplatte aus dem Boden, notierte die Maße, fuhr zum Baumarkt, kam mit einem perfekten Stück zurück und setzte es ein wie die Familienväter in den Werbefilmchen, denen selbst das Einbauen von drei Meter breiten und einen Meter dicken Holzwolle-Stücken in Dachstühle mit einem zur Kamera geworfenen Lächeln leicht von der Hand geht. Dabei erläuterte sie jeden Handgriff und konnte genau erklären, warum sie was tat. Einmal fuhr ich sogar mit in den Baumarkt, weil Baumarkt mit Susanne wie Museum mit Führung ist. Ich wurde dadurch besser beim Lemming-Spielen, Hartmut starrte still durch die Gänge und versuchte zu verbergen, wie sexy und geil er es eigentlich findet, eine Bauhaus-Freundin zu haben.
Der linke Flügel der Wohnung hörte auf, nach Benzin zu stinken. Hartmut machte das schwer zu schaffen. Susanne reparierte Hartmuts Computer, defragmentierte die Festplatte und optimierte das Benutzersystem. Sie entschimmelte die Dusche mit Chemie. Als sie eines Tages auch noch seinen Druckkopf manuell ausbaute und reinigte, kam Hartmut weinend ins Wohnzimmer und
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