Hartmut und ich: Roman
mit seinen Schüssen auch den Hintergrund zerstören kann. Ich finde nur Time Crisis , krame die alte Plastiksensorpistole heraus, verkabele alles, justiere auf dem Testbildschirm die Kanone mit dem Fernseher und starte die Ballerei. Ich erinnere mich daran, wie Hartmut damals ganz außer sich war, als diese Pistolenspiele erfunden wurden. Das war zu der Zeit, als er noch Zivi war und ich beim Bund Saufspiele spielte, bei denen man in der Kaserne nicht den Boden berühren durfte. Wir liehen uns damals diese technische Sensation aus der Videothek und luden uns bei Björn ein, einem älteren Bekannten, der schon ein eigenes Haus hatte und sich Vogelspinnen in Terrarien hielt. Wir bugsierten den Fernseher auf Stehhöhe, verbanden die Konsole mit der Stereoanlage und schossen unter unglaublichem Getöse die halbe Nacht aus allen Rohren, bis selbst die gehörstabilen Spinnen sich verkrochen hatten. Nach dem Bund begann ich, bei UPS zu arbeiten, und Hartmut vollendete sein Vorhaben, das gesamte hintere Drittel der Stadtbibliothek zu lesen. Man reservierte ihm einen Sessel und brachte ihm Kaffee aus der Teeküche der Angestellten. Nebenbei half er Besuchern bei der Büchersuche und beriet Kids aus der Schule, für die der Typ im Sessel schon Kult geworden war. Als er alle Bücher durchhatte, beschloss er, in Bochum Philosophie und Literatur zu studieren, ich ließ mich an das Paketband in Herne versetzen, und wir suchten nach einer gemeinsamen Wohnung.
Ich bin gerade erst in der Lagerhalle des ersten Levels angekommen, als Hartmut wieder nach mir ruft.
»Ja?«, sage ich ruppig, als ich meinen Kopf durch seine Tür stecke.
»Wie kannst du es eigentlich zulassen, dass es hier so heiß ist?«, fragt er. Er hat alle Decken von sich geworfen und liegt nackt vor mir, bloß seine kleine, gelbliche Schiesser-Unterhose bedeckt sein Gemächt. Er sieht aus wie ein russischer Drogenabhängiger auf Entzug in einer unserer Trash-Reportagen. »Ich komme doch nicht an die Heizung ran, ich bin der Hitze hier hilflos ausgeliefert!«, jammert er. » Du wolltest doch, dass … «, setze ich meckernd an, breche dann aber ab, als Hartmut ein Gesicht macht, als würden sich meine Worte wie glühende Eisenstäbe in seinen Leib bohren. Ich fühle mich wie ein Sadist und beginne zu glauben, dass ich tatsächlich gegen seinen Wunsch die Heizung hochgedreht habe. Ich drehe sie runter auf zwei und sehe ihn mit einem »Bist du jetzt zufrieden?«-Blick an. Hartmut hebt und senkt unmerklich den Kopf, als raube ihm selbst das Nicken bei weitem zu viel Kraft, und zieht die Decken wieder über seinen gekrümmten Junkie-Leib, als wögen diese mehrere Tonnen und er müsse sich mit einem ganzen Waldboden bedecken. Ich drehe mich um zum Gehen, als ich seine Stimme leise aus dem Deckengewirr höre. »Was machst du denn gerade?«, fragt er. Ich bleibe in der Tür stehen, weiß nicht so recht, was ich sagen soll, und sage dann die Wahrheit. »Aha«, sagt Hartmut nur, aber dieses »Aha«, diese drei Buchstaben, schwappt in einem Ton aus dem Krankenbett, dass er auch direkt der Tageszeitung hätte erzählen können, wie skrupellos sich sein Mitbewohner den höchsten Playstation-Vergnügungen hingibt, während er leidet, schrecklich leidet. Ich drehe mich noch mal um und sehe ihn an. Schon wieder halb zur Seite gedreht, winkt er ab und sagt: »Neenee, ist schon gut, ist schon gut. Mach du nur … « Dann verschwindet sein Kopf so langsam und vorwurfsvoll in den Decken wie der Kopf einer Schildkröte in ihrem Panzer.
Nach einer Stunde – ich habe mittlerweile die Lagerhalle, den Innenhof und die Loggia zu Klump geschossen – ist es Zeit für Essen und Antibiotika. Ich gehe in die Küche, rühre eine Mischung aus Joghurt, Bananen und Äpfeln in kleinen Stückchen an, stelle ein Glas Wasser dazu und lege die Tablette daneben. Als ich Hartmuts Zimmer betrete, döst er gerade. Langsam dreht er sich um, murmelt etwas, verwandelt seine Schlitze langsam in Augen und lächelt, als er mich sieht, bis ihm wieder einfällt, dass er krank ist, und seine Miene sich verfinstert. »Jaja, weck du nur den kranken Mann, Schlaf ist bloß schädlich.«
»Du musst essen«, sage ich. »Wenn du jetzt nichts isst, kommst du wieder nicht auf drei Mahlzeiten und somit nicht auf drei Pillen. Du brauchst aber drei Pillen am Tag.«
»Pillen, immer nur Pillen«, grummelt er und dreht sich langsam um. Als sich kurz seine Decke hebt und senkt, weht mir ein Lüftchen entgegen, das sich in
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