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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Hartmut, der auf seinem Bett liegt, als sei er gerade von einem Wrestler auf die Matte gedroschen worden. Ich lobe ihn, sammle die Sachen zusammen und bin froh, dass ich keine Bröckchen Erbrochenes aus dem Teppich fummeln muss.
    »Himmel, hilf!!!«, höre ich Hartmut plötzlich schreien, als ich mich eine halbe Stunde später in den nächsten Level vorgekämpft habe. Ich muss das Spiel mitten in einem offenen Feuergefecht auf Pause schalten, springe auf und finde Hartmut mit weit aufgerissenen Augen in seinem Bett. »Was ist jetzt?«, frage ich, er sieht mich langsam und entsetzt an und sagt: »Ein Traum. Ein schrecklicher Traum. Ich lag in einem Bett auf der Straße in Litauen, draußen, vor dem Krankenhaus. Es war total kalt, und ich konnte sehen, wie drinnen andere Patienten im Warmen lagen, allerdings wurden die in ihren Betten unter Lampen einfach so auseinander genommen. Wie Androiden, verstehst du? Teil für Teil. Und ich lag da draußen und kam nicht weg, und ständig kamen junge Soldaten vorbei und stopften mir diese Pillen in den Mund, und dann sind mir alle Zähne ausgefallen.« Ich stehe in der Tür und sage: »Warum Litauen?« Sein Blick hellt ein wenig auf, die alte Neugier kehrt für eine Sekunde in seine Augen zurück, und er sagt: »Ja, das wüsste ich auch gern!«
    Nach drei weiteren Tagen hat der Spuk ein Ende. Hartmut ist wieder auf den Beinen, liest und schreibt Abhandlungen, übernimmt ohne Kommentar ein wenig mehr von der Hausarbeit und kocht ab und zu für zwei. Ich gehe wieder arbeiten und spüre nach einigen Tagen, wie ich nachlasse, mir Pakete runterfallen, die Knie weich werden und die Konzentration nachlässt.
    Wenig später liege ich im Bett. Ich habe Fieber, meine Brust ist mit japanischem Heilöl eingeschmiert, und ich muss Antibiotika nehmen, die Hartmut mir ans Bett bringt. Ich bedanke mich, bestelle frisch gepressten Orangensaft, bekomme ihn in wenigen Minuten und lasse mir das Fenster öffnen, damit frische Luft reinkommt. Dann schließt Hartmut vorsichtig wie ein Pfleger die Türe, und ich höre von nebenan, wie das Geballere losgeht.

CLOSELINE
    Es ist Freitagabend. Hartmut und ich gehen in einem Nebenarm der Fußgängerzone spazieren. Es ist warm. Ich kann mit Sandalen durch die Gegend laufen, was meine Laune beachtlich hebt. Hartmut pfeift leise vor sich hin. Ein Radfahrer rollt gemächlich in unsere Richtung, als es plötzlich passiert. Hartmut fängt an zu schreien, fährt seinen rechten Arm aus, sodass er wie eine Schranke von seinem Körper absteht, und rennt auf den Radfahrer zu. »Closeline!«, schreit er. »Closeline!« Und kaum, dass ich mich versehe, semmelt er den Radler mit seiner ausgefahrenen Schranke vom Sattel. Der junge Mann fällt mit voller Wucht auf den Boden, sein Rad kratzt ein Stück über den Asphalt, und ich fühle dieses Ziehen im ganzen Körper, als ich sehe, wie sein Hinterkopf aufschlägt. Das Kratzen hört auf. Der Mann bleibt stumm liegen. »Was war das denn!!!???«, schreie ich Hartmut an. Der dreht sich mit großen Augen zu mir um, zieht die Schultern hoch und sagt: »Eine Closeline! Weißt du nicht, was eine Closeline ist?«
    »Sicher weiß ich, was eine Closeline ist«, schreie ich weiter, »ich habe sieben Jahre Wrestling gesehen! Aber du kannst doch nicht einfach diesen Typen da von seinem Rad rammen!« Ich schreie selten mit Hartmut. Vielleicht ging es mir auch einfach nur zu schnell. Ich mag es nicht, wenn ich nicht mitkomme. »Eben!«, sagt Hartmut. »Ich zeige ihnen die ganze Absurdität dieses Diskurses auf! Stärke. Männlichkeit. Immer bereit sein, das Unerwartete zu erwarten. Prepared to fight. Licence to kill. Der ganze Scheiß. Siehst du«, sagt er und deutet mit der Nase zu dem hingestreckten Radfahrer, »der sieht jetzt, was das heißt, immer prepared zu sein! Damit hat er nicht gerechnet!« Ich schweige erst mal und erwische mich dabei, wie mein Blick die Gegend nach möglichen Zeugen absucht. Ich denke ans Gefängnis. Ich bin ganz und gar nicht prepared. »Und was machen wir jetzt mit dem Typen?«, frage ich. Fast hätte ich gesagt: »Was machen wir jetzt mit der Leiche?«, weil man diesen Satz in solchen Situationen aus dem Fernsehen gewohnt ist. Ich beuge mich runter, fühle nach seinem Puls und versichere mich, dass der Satz nicht gesagt werden muss. Es scheint, als würde die Beule am Hinterkopf schon zu wachsen beginnen. Kein Blut. Hartmut sieht auf mich herunter als sei er empört und bemitleidet mich zugleich für die

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