Hartmut und ich: Roman
totale Abwesenheit von Verständnis für seine Aktion. Ich fühle mich wie die Putzfrau, die im Museum Beuys’ Fettecke weggewischt hat. Hartmut seufzt und stellt sich an die Enden der Beine. Ich nehme die Arme. Es sieht fast routiniert aus. Wir schleppen den Typen in einen tiefen Hauseingang und stellen das Rad ordentlich an eine Laterne, als sei es geparkt. Da sitzen wir jetzt in dem kleinen Tunnel. Rechts von uns ein türkischer Gemüseladen. Links ein Nudelhaus. Mein Blick klebt an riesigen Pepperoni, als Hartmut mich über dem Körper des Radfahrers anstupst und »Guck mal!« sagt. Er hält etwas in der Hand, das er dem Mann aus der Hose gezogen hat. Die Taschen hängen noch raus. Ich sehe genauer hin. Ein weißer Beutel. Koks. »Ja herzlichen Glückwunsch!«, sage ich und hebe meine Stimme so sehr, dass Hartmut sich duckt und mit den Händen herumfuchtelt. Jetzt will er auf einmal nicht mehr gesehen werden. »Herzlichen Glückwunsch!«, sage ich noch mal. »Von allen Vögeln in dieser Stadt musstest du ausgerechnet den örtlichen Koksdealer vom Zweirad holen!« Hartmuts Augen fliegen über den bewusstlosen Körper. »Der sieht gar nicht wie ein Dealer aus, oder?«, sagt er. »Das schicke Hemd, die Hose wie vom Familienkatalog. Gut, ein bisschen jung und Gel in den Haaren, aber guck mal, die Rasur. So gut warst du noch nie rasiert!«
»Das tut doch jetzt gar nichts zur Sache!«, sage ich und schreie wieder. Wenn das so weitergeht, kriege ich Kopfschmerzen. »Glaubst du, wenn man uns jetzt so findet, denken die, du hast den Mann bloß aus Spaß oder zur Subvertierung der symbolischen Werte von Kraft und Stärke von seinem Rad geschmettert!? Die werden denken, dass wir ihn kennen und ihm den Stoff abnehmen wollten, weil wir … weil wir selber süchtig sind und keine Kohle mehr haben und gerade niemand hingesehen hat und wir wussten, dass er hier langkommt und … « Hartmut hebt beruhigend die Hände. »Kokskunden sind reich. Da gibt es keine Beschaffungskriminalität!«, sagt er, als wäre damit alles geklärt und wir könnten jetzt nach Hause gehen. »Koksdealer fahren aber normal auch nicht mit dem Fahrrad, oder besucht dein Vater seine Kunden etwa auf Inline-Skates?«, schreie ich wieder. Ich verrate hier alle meine Prinzipien mit der Brüllerei. Monate von Gemütsruhe sind für die Katz. Es scheint, als holte ich jetzt alles nach. Hartmut atmet einmal tief ein und aus, bevor er antwortet. Dann sagt er: »Du solltest dich wirklich beruhigen und einen heißen Teller Nudeln essen oder so! Mit Steinpilzen.«
»Was machen wir mit dem Mann hier!!??«, sage ich. Es klingt drängelnd. Wir sitzen in einem Hauseingang zwischen Nudelhaus und Gemüseladen mit einem bewusstlosen Drogendealer und ohne optische Deckung. Ich glaube, ich darf drängeln. Hartmut bleibt ruhig. »Wir nehmen jetzt einfach den Stoff hier, gehen zu dem Polizeiwagen da drüben und klären die Sache!« Ich schaue in die Richtung, die Hartmut beim Sprechen eingenommen hat. Auf der anderen Straßenseite steht tatsächlich ein grünweißes Auto. Ich will nach Hause. »Lass, ich mach das schon!«, sagt Hartmut, steht auf und geht den Bullen entgegen. Auf halber Höhe treffen sie sich und beginnen zu sprechen. Ich sehe Hartmut gestikulieren, erklären, mit dem weißen Tütchen wedeln. Er ist ganz ruhig. Ich hocke weiter neben dem Dealer, die Pepperoni über mir im Schaufenster, und hoffe, dass er nicht aufwacht. Wenn er aufwacht, wird er an die Closeline denken, und ich glaube, dann sehen wir schlecht aus. Er wird nicht aufwachen. Ich weiß das, weil Hartmut so ruhig ist. Wenn Hartmut so ruhig ist, ist er sich sicher. Und wenn Hartmut sich sicher ist, dann läuft die Welt nach seinen Regeln. Nach fünf Minuten kommt Hartmut mit den Beamten in meinen Flur und nickt mir unmerklich zu. Die Männer sagen »Guten Abend!«, »Gut gemacht!« und »So was brauchte man öfter!« und haben den Krankenwagen verständigt. Zwanzig Minuten später finde ich mich mit Hartmut auf der Wache wieder, und wir geben das Protokoll auf. Ja, der Typ habe uns Drogen angeboten, wir wissen nicht mehr genau, was, wir haben uns einfach erschrocken, so mitten auf der Straße in unserer Stadt harte Drogen. Wir nehmen so was nicht. Klar, mal ein Bierchen hier und da, sicher, haha, wir verstehen uns, Herr Oberwachtmeister, das kennen wir doch alle. Aber so was. Er wurde jedenfalls richtig zickig und hat uns beschimpft, so was hat man bislang nur in Amsterdam als Tourist erlebt. Er
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