Hartmut und ich: Roman
Aktivisten und die Bedeutung dieser letzten Oasen abseits der kapitalistischen Welt, in der es nur um Profit geht. Er erzählt davon, als würde er seiner Freundin das Angeln erklären und darauf warten, dass sie von ihren Pferden erzählt. Bettina hat mittlerweile ihren Blick um eine kleine Nuance verändert. Zu der stillen Angst, die der begeisterte Hartmut nicht bemerkt, ist jetzt ein Hauch von Panik hinzugetreten. Wir schließen den Wagen ab, betreten den Weg zum Hinterhof und balancieren vorsichtig an Matschpfützen vorbei, die sich in Schlaglöchern des alten Betons gebildet haben. Am Rand des Weges wuchern Büsche mit giftigen Beeren. Hinter dem großen Haus, an dessen Fassade lose Kabel von Fenster zu Fenster führen, zeigt sich ein kleiner Flachbau mit wackeligem Dach und Stahltür, vor der auf einem breiten Treppenabsatz die ersten Leute stehen. Ein riesiger junger Mann mit verfilzten Rastas, nacktem Oberkörper, Tattoos auf den Armen und diesen Knöpfen im Ohrläppchen, die an die Lippenringe afrikanischer Eingeborener erinnern. Die Bierflasche in seiner Hand sieht schmierig aus, und mir steigt dieser unverwechselbare Geruch in die Nase, der sich langsam zwischen Stahltür, Rastamann und Gemäuer bemerkbar macht. Schimmel, Bierlachen, Staub, kalter Schweiß und ein Hauch von zart abgestandenem Urin, abgeschmeckt mit Schimmelpilzen und Schwamm in der Wand sowie einem Schuss Muff aus Omas Mottenkiste. Die Army-Hose des Rastamanns stinkt, als sei er damit aus dem Grab gestiegen. Neben ihm hockt ein winziger Punk, auf dessen Lederjacke Bandnamen wie OHL, Daily Terror und Exploited mit weißem Stift aufgemalt sind und dessen Iro mit der Spitze an einem der Äste kratzt, die halb über den Treppenabsatz wachsen. »Durch zerschlissene Klamotten, unperfektes Aussehen und mangelnde Hygiene zeigen die selbst ernannten ›Zecken‹ ihre Verletzlichkeit und geben sich als gescheiterte Verlierer der Leistungsgesellschaft zu erkennen. Im Gegensatz zur affirmativen Zelebrierung von Männlichkeit und Stärke im konservativ-proletarischen Heavy Metal ging es dem Punk darum, durch die eigene Kaputtheit Schwäche zu zeigen und den alltäglichen Chauvinismus zu unterlaufen.« So steht es im Lehrbuch, und so oder so ähnlich hat Hartmut es schon oft erklärt, wenn keiner es hören wollte, und ich frage mich, ob er nun leise damit anfangen wird, diesen Sachverhalt auch Bettina ins Ohr zu flüstern, während wir uns den Exponaten auf der Treppe nähern. Theorie hin oder her: Ich für meinen Teil habe auch ein wenig Angst vor den autonomen Legionären, wie sie da so selbstverständlich im Gestank des Eingangs und im Muff ihrer eigenen Hosen stehen. Im Moment bin ich es, der sich verletzlich fühlt, weil meine Army-Hose so sauber ist, dass man das Frosch-Waschmittel noch an ihr riechen kann. Mein Punkrock-T-Shirt hat keine Löcher. Ich komme mir vor wie ein Sozialpädagoge, der auf Jugendlook macht. Bettina bleibt mit der Seidenhose an einem Busch hängen. Die Büsche hier sind stachelig. Sie sagt nichts, aber atmet einmal kurz durch ihre winzige Nase aus und senkt dabei für eine Millisekunde die Augenbrauen. Meine Laune hebt sich, weil ich heute Abend nicht Hartmut bin. Ich winke die beiden mutig wie ein Scout an der Treppe vorbei in den Garten und gehe zielstrebig auf eine Gruppe von zwanzig Leuten und acht Hunden zu, die sich um ein Lagerfeuer versammelt haben. Am linken Gartenzaun steht ein ausrangierter, grüner Wohnwagen. Es riecht nach Dope und Bier. Aus einem kleinen Radio bellt Crustpunk über die Grashalme. Ich frage, wo wir Hanno und die Band finden, und ein langhaariger junger Mann mit schmalen Lippen winkt mit der Bierflasche in Richtung Treppenabsatz zurück. Bettina versucht derweil, einen schwarzen Köter loszuwerden, der an ihrer Seidenhose herumlecken will. Hartmut ist stiller geworden. Wir gehen zum Treppenabsatz zurück, quetschen uns an den Legionären vorbei und finden Hanno in einem Raum, der wie ein Partykeller aussieht. Eine Bühne ist dort aufgebaut, und auf einem Betttuch steht in Sprühschablonenschrift Angry Souls an der Wand. Der Geruch der Pilzwände drückt von links und rechts auf unsere Wangen. Hanno liegt zufrieden auf einer durchgesessenen Couch in der Ecke und springt auf, um uns zu begrüßen. »Ahhh, da seid ihr ja, hi! Na, wie geht’s?«
»Das ist Bettina!«, sagt Hartmut. »Hanno – Bettina, Bettina – Hanno!«
Bettina tritt nach vorne und gibt Hanno die Hand. Es sieht fast so aus,
Weitere Kostenlose Bücher