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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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in der Nähe des Autos dazu am besten geeignet wäre, weil ich eigentlich Bettina und Hartmut belauschen will. Ich zwänge mich in das giftige und dornige Geäst, achte darauf, mein bestes Stück nicht von den Stacheln anreißen zu lassen, und halte ein Ohr aus der dichten Gestrüppwand. Die Fenster des Autos sind auf. Bettina spricht:
    »Das hättest du mir auch sagen können, dass hier um uns der Lump tanzt!«
    Welch ein Satz. Ich muss fast husten vor Lachen, halte mir den Mund zu, ritze mir nun doch den Schwanz an und muss die Luft in die Backen pressen, um nicht bemerkt zu werden. Ich zische ein wenig wie jemand, der mit schmalen Augen eine Verletzung betrachtet, und taste nach dem Ausmaß des Schnittes. Es brennt. Die Diskussion scheint mit diesem Satz aus Bettinas Mund schon ihren Abschluss gefunden zu haben, denn Hartmut kann der Absolutheit einer solchen Bemerkung nichts mehr entgegensetzen. Er kann stundenlang darüber diskutieren, was der wahre Punkrock war und ob Gewalt ein probates Mittel der Politik sein darf. Er hat schon Debatten mit Veganern, Autonomen und Kommunisten ausgefochten, und er weiß innerhalb dieser Welten wirklich jedes Argument wie eine Münze zu drehen und zu wenden. Doch heute Nacht sitzt Bettina neben ihm, hinabgestiegen aus einer anderen Welt, in der die Väter Anzüge tragen und Häuser besitzen, deren drei Etagen nach einem unsichtbaren Raumduft riechen und in denen alles ganz dezent und unmerklich nach Feng-Shui-Prinzipien eingerichtet wurde. Neulich abends durfte Hartmut bei Bettinas Familie den Garten sprengen, als alle im Urlaub waren. Über eine Stunde hat Hartmut gegossen, gesprengt und gepflegt, während ich mit nackten Füßen auf dem Rasen stand und mir vorstellte, bei uns in der WG wäre alles derart in Ordnung. In sanfter, seelenberuhigender Ordnung, die leicht aussieht, aber eine Knochenarbeit erfordert, die nur Angestellte erledigen können, denn wer so ein Haus selber in Ordnung halten muss, der schmeißt ab der zweiten Etage den Feng-Shui-Ratgeber aus dem Fenster und fängt an, Alister Crowley zu lesen. Aus dieser Welt stieg Bettina herab und beschwerte sich über den »tanzenden Lump«, und gegen so was ist Hartmut ausnahmsweise kein argumentatives Kraut gewachsen.
    Im Auto wird jetzt zaghaft geküsst und gezüngelt, um den Streit aus der Welt zu schaffen, und als die beiden aussteigen und an meinem Busch vorbeigehen, sagt Bettina, ohne in meine Richtung zu sehen: »Du kannst jetzt rauskommen!«, und geht zielstrebig weiter Richtung Konzertraum. »Wo ich einmal hier bin, will ich keine Spielverderberin sein!«, sagt sie beim Laufen, »aber ich hab einiges gut bei dir, Hartmut! Einiges!« Ich arbeite mich aus dem Busch heraus, grinse Hartmut an, sage: »Oh, oh, das gibt einen Kredit auf Jahre!«, und packe vorsichtig mein Gemächt ein. Hartmut steht starr und sieht vor seinem geistigen Auge Ausritte und Nachmittagskaffees wie in den Filmen von Rosamunde Pilcher. Wir gehen rein.
    Auf dem Treppenabsatz warten wir auf die zweite Hälfte des Konzerts. Der Rastamann und der winzige Punk hocken neben einem Busch und diskutieren über Umweltaktivismus. Plötzlich taucht ein junger Mann im Hawaii-Hemd auf und winkt uns zu. Jörgen. Jörgen ist ein Bekannter von uns, sitzt oft auf unserer Couch, wenn ich heimkomme, und sieht Nachmittags-Talkshows oder Sitcoms. Jörgen hat zwei abgebrochene Studien in E-Technik und Biochemie und fährt alle zwei Wochen nach Arnheim einkaufen. Er hat krauses Haar, trägt eine lange Baggy Pant in Khaki und zeigt sein breites Lächeln. Seine Augen stehen weit vor, weswegen wir ihn Krusty nennen, nach dem Clown bei den Simpsons. »Hey, Hartmut, alte Sohle, da seid ihr ja! Is’ schon angefangen?« Jörgen erklimmt die angebrochenen Treppen, nickt mir kurz zu und würdigt Bettina kaum eines Blickes. Freundinnen führen in seiner Welt eine Randexistenz. Jörgen setzt sich auf einen mit Bauschutt gefüllten Müllsack und beginnt, einen Joint zu bauen. Beim Drehen hebt er den Blick und sagt: »Samma Hartmut, kiffst du eigentlich noch so viel?« Bettinas Augenbrauen neigen sich wieder über die kleinen Äuglein, und der Kopf sinkt einen Hauch nach vorne. Hartmuts Schulden bei ihr werden immer größer. Als plötzlich einer von drinnen den Bass testet und die Anlage wieder angeschaltet wird, lässt Jörgen vor Schreck den Joint fallen und bricht fast mit seinem Schuttsack zusammen, während Bettina von dem plötzlichen Lärm nicht gänzlich

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