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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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versprechen kann, alles für sie zu tun, da das gelogen wäre. Die Kleider auf der Stange fangen jetzt auch Feuer. Der ganze Raum brennt. Glasscherben aus dem Oberlicht fallen krachend herab. Ich denke an Hartmut und Vanessa, Hartmut und Bettina, Hartmut und Susanne. Ich denke daran, dass ich niemals so zu einer Frau sprechen würde und dass ich diesen weinerlichen Schlappschwanz hasse, der sich dabei stark fühlt, derart »ehrlich« zu sein. Ich verstehe langsam, warum Hartmut Heiner Müller hasst. Ich nehme einen kräftigen Schluck und ramme die Flasche jetzt ebenso in den Halter vor mir, wie Hartmut es vorhin getan hat. Hartmut registriert es mit Wohlwollen. Er spielt an der Kordel seiner Jacke herum wie ein Besessener. Nach einigen weiteren Filmchen, die ich nicht aufnehmen kann, weil mir das Bild der brennenden Hochzeitskleider nicht aus dem Kopf will, betritt der Moderator wieder die Bühne und sagt die nächsten Poeten an. Nach einigen Zeilen über Bäume und enttäuschende Männer, die von Frauen mit flüsternden Stimmen vorgetragen werden, und einem leidlich komischen Wortspielgerüst eines uns bekannten Soziologie-Studenten, der alte Jagdhüte trägt und sich für provokant hält, schlurft ein junger Mann auf die Bühne, lässt fast sein Papier fallen, räuspert ins Mikro und sagt, dass er dann jetzt mal anfange. »Totes Leben« lautet der Titel. Der junge Mann liest.
    Im Dunkeln bläulich schimmernd
    frisst sich das Licht der Belanglosigkeiten
    in euer Gehirn
    lähmt euch, lässt euch stillstehen
    Die Frau vor uns, die sich in ihrer Arbeit seit einiger Zeit eher mit formalen Experimenten beschäftigt, hält sich die Hand vor den Mund und muss leise lachen. Ich würde auch gerne lachen, aber ich spüre, wie mich das Ganze aggressiv macht. Dennoch weiß ich, was ich in solchen Fällen tue. Ich bleibe sitzen, trinke, stütze nachdenklich meinen Kopf auf die Finger, falls mich Leute beobachten, die solche Lyrik tiefsinnig finden, und gucke zugleich halb ironisch in die Luft, falls jemand zu mir rübersieht, der es genauso beschissen findet wie ich. Um mich mache ich mir keine Sorgen. Ich mache mir Sorgen um Hartmut. Der poliert gerade den Fingernagel des Ringfingers seiner rechten Hand mit der Fingerspitze des Mittelfingers und zwirbelt derweil mit der linken Hand in seinem Ziegenbart herum. Der Poet spricht weiter.
    Am Tag geht ihr schaffen
    Spaß ist nicht der Punkt
    Es geht ums Überleben
    Eure Zeit ist vertan
    Die Frau vor uns wippt immer wilder in ihrem Sitz umher und kriegt sich kaum mehr ein. Hartmut drückt seinen polierten Nagel gegen die Unterlippe. Mein Bier neigt sich dem Ende zu. Ich werde nervöser.
    Eure Energie, eure eigenen Gedanken
    im Keim erstickt
    die Kraft ausgesaugt
    Alles nur bis zum »Muss«
    Nichts bis zum »Kann«
    »Danke schön«, sagt der junge Poet, und vereinzelt beginnen Leute zu klatschen, bis alle in den Höflichkeitsapplaus einfallen. »Nicht mehr lange … «, murmelt Hartmut jetzt nach vorne zu seinem Flaschenhalter gebeugt. »Nicht mehr lange … « Ich überlege mir, unter welchem Vorwand wir den Saal verlassen könnten, aber ich traue mich nicht. Der Moderator betritt wieder die Bühne und sagt, dass er vor dem nächsten Teil des Films noch etwas zu sagen hätte. Das Mikro klingt, als spreche er durch mehrere Schichten von Spültüchern, Frotteebettwäsche und Isolierwolle. Er steht gebückt, weil er sich nicht traut, den Mikroständer anders einzustellen. Es ist keine Hilfe in Sicht. »Wir vom Literaturverein müssen Ihnen leider die Mitteilung machen, dass der Ministerpräsident des Landes beschlossen hat, die Gelder für das Literaturbüro Unna zu streichen. Wir finden, dass man auch woanders sparen kann, und sind sehr enttäuscht von dieser Offenbarung kalter, profitorientierter Politik. Ich denke, gerade in Zeiten der oberflächlichen Fernsehunterhaltung und zunehmenden Entwertung der Kunst ist es wichtig, die Kultur nicht auf der Schlachtbank des Marktes zu opfern.« Der Mann spricht ohne Betonungen. Er leiert den Text herunter, wie junge weibliche Azubistimmen in Supermarkt-Lautsprechern die Sonderaktion für die ganze Familie am nächsten Samstag ansagen. Er hätte noch einige Minuten so weitergeredet, wäre Hartmut nicht gerade aufgesprungen und hätte bereits mit dem Brüllen angefangen. Ich wusste es. Wir hätten rausgehen sollen. Jetzt ist es zu spät.
    »Ja, verdammt noch mal!«, schreit er in den Saal und ist ohne Mikro lauter als alle am Pult lesenden

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