Hass
hinunter auf Cheneys Wagen, einen älteren dunkelblauen Audi, den er vom Händler geliehen hatte, bis sein eigenes Auto nach der Jagd am Strand wieder zusammengeflickt war.
Das war nur zwölf Stunden her. Unglaublich. Er drehte sich zu Julia um. »Halten Sie noch durch?«
»Es war ein ziemlich aufregender Tag.«
»Wie fanden Sie Tammerlanes Séance?«
»Hat ja leider nicht funktioniert. Wir sind immer noch nicht weiter, was Kathryn betrifft. Denken Sie, dass sie tot ist, Cheney?«
Er überlegte einen Moment und sagte dann: »Nein, das glaube ich nicht. Aber ich bin mir immer noch nicht sicher, warum Makepeace sie entführt hat.«
»Könnte er glauben, dass sie die eine oder andere Vision für ihn hat, meinen Aufenthaltsort betreffend? Was meinen Sie?«
Er lachte. »Das wär was.«
Aber Julia war unsicher. Sie hatte drei Jahre in der Welt der Hellseher gelebt. Manchmal hatte sie ihre Zweifel daran, was Wirklichkeit war und was nicht.
»Hoffentlich kann ich mich noch konzentrieren. Alles scheint sich um Soldan Meissen und Thomas Pallack zu drehen. Jetzt ist er auch noch Pallacks Medium.«
Sie nickte. »Ich glaube, Sie werden Soldan interessant finden. Er ist, wie soll ich sagen, sogar in noch größerem Maße anders. Sie werden schon sehen.«
»Niemand von den Leuten, mit denen wir geredet haben, hatte großen Respekt vor ihm.«
»Stimmt. Aber Thomas Pallack hat Erfahrung – er war schließlich bei August und vor ihm bei dem berühmten Medium Linz Knowler. Da kann ich mir nicht vorstellen, dass Soldan ihn übers Ohr hauen kann. Das müsste ziemlich schwer sein.
Ich habe Soldan mal vor drei Monaten oder so in einer dieser Hollywood-Unterhaltungsshows gesehen. Er war auf einem unheimlichen Friedhof, es war natürlich dunkel, und er stand knietief im künstlichen Nebel. Er trug Jeans und Stiefel mit acht Zentimeter dicken Plateausohlen, damit er eindrucksvoller wirkte. Was, ehrlich gesagt, gar nicht so leicht ist, denn Soldan ist eher mickrig. Er stand neben einer flauschigen Blondine, die an der richtigen Stelle »Oh« und »Ah« sagte und ihm A4-Fotografien von berühmten Toten reichte. Er teilte den Leuten am Bildschirm mit, was diese Menschen jetzt machten und wie sie die Taten ihrer berühmten lebenden Verwandten beurteilten. Die Blonde schien tief beeindruckt.
August sagte immer, dass Soldan vor der Kamera nichts zuwege bringe. Jeder würde ihn sofort für einen 1A-Betrüger halten und er brächte damit alle Hellseher in Verruf.«
Cheney bog in die große kreisförmige Einfahrt ein und hielt direkt vor der Haustür. Als er den Motor ausgestellt hatte, sah er sich um. »Wieder recht komfortabel. Ich schätze, das Hellsehergeschäft boomt.«
Julia sagte: »O ja. In Atherton frönt man dem Konsum prestigeträchtig wie sonst nirgends in der Bay Area. Soldan hatte ursprünglich eine Villa im Stil einer spanischen Hazienda, dann ist er zwei Straßen weiter gezogen und macht jetzt auf orientalisch.«
Cheney betrachtete das einstöckige Haus mit der robusten Fensterfront und den dicht gepflanzten Bonsaibäumen davor. »Ist der Kerl verheiratet? Treiben sich hier Kinder rum?«
»Ich weiß nichts von Kindern, aber es könnte eine Exfrau geben. Vor ein paar Monaten habe ich gehört, dass eine Frau eingezogen sei. Ich kenne sie aber nicht. Hoffentlich ist er überhaupt da, Cheney. Es ist schon ziemlich spät. Vielleicht hätten wir uns diesmal besser ankündigen sollen.«
»Nein, bei einem Überraschungsbesuch weiß man nie, was man nicht alles herausbekommt. Dort am Ende des Hauses sind Lichter an.«
Sie gingen einen Steinplattenweg entlang, der von Büschen und Blumen gesäumt war, die an einen japanischen Garten erinnerten. Die zweiflügelige Tür war glänzend schwarz lackiert und hatte goldene Türknäufe in Drachenkopfform. Rechts und links standen riesige asiatische Steinstatuen. Um Details erkennen zu können, war es zu dunkel. Cheney drückte den Finger auf ein Drachenmaul. Daraufhin erklang die Türglocke mit gruseliger Musik aus dem alten Bela-Lugosi-Film Frankensteins Sohn.
»Vielleicht ist er auch ein Hexenmeister.«
Eine Minute lang passierte gar nichts. Dann war das Geräusch von klappernden Pantoletten auf Fliesen zu hören. Eine Frau in einem tief ausgeschnittenen, duftigen Hausmantel, der um ihre Beine flatterte, öffnete die Tür. Mit dem erstaunlichen Busen, der von Seide und Federn umrahmt war, sah sie aus wie ein Saloonmädchen aus einem alten Western, das seine besten Tage bereits
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