Hass
hinter sich hatte – schon ein wenig verlebt, mit etwas zu viel Make-up, aber noch authentisch genug, zumindest fürs Fernsehen.
Cheney sagte: »Hallo. Das ist Julia, ich heiße Cheney. Wir sind hier, um Soldan zu sehen. Ist er zu Hause?«
»Sie kommen mir bekannt vor«, sagte die Frau zu Julia. »Sie nicht, Sir. Es ist schon nach neun. Was wollen Sie? Soldan ist müde. Wir empfangen keine ungebetenen Gäste. Und überhaupt gefallen Sie mir beide irgendwie nicht.« Sie musterte Julia. »Ja, irgendwoher kenne ich Sie. Gibt es einen Grund, warum ich Sie nicht mag?«
Cheney lächelte der Frau zu. Sie sah aus, als könnte sie sie beide erschießen, dann den Rauch vom Lauf wegblasen und sich ein Glas Whisky hinter die Binde kippen. »Wir sind harmlos. Vielleicht haben Sie Julia schon kennengelernt. Sie ist Dr. August Ransoms Witwe. Ich bin Cheney Stone vom FBI. Wir werden Soldan nicht lange behelligen. Und wer sind Sie?«
»Sie machen hier einen auf Kumpel? Ich denke, Sie sind der bestaussehende Bundesmeuchler, den ich je gesehen habe. Wahrscheinlich nutzen Sie Ihre Stattlichkeit auch immer aus. Das macht es leichter, unschuldige Frauen wie mich anzuschwindeln.«
»Nein«, sagte Cheney. »Dazu zahlen sie mir zu wenig.«
»Ein Bundesmeuchler, der Witze reißt – Sie sind also auch noch clever, aber eigentlich nicht so lustig.«
»Wer sind Sie?«, fragte Julia.
»Ich bin Sols Mutter. Okay, okay, Sie haben mich erwischt. Man sieht ja auf den ersten Blick, dass ich viel zu jung und hübsch bin, um seine Mutter zu sein. Ich bin seine Schwester – seine jüngere Schwester. He, ich wette, wenn ich Sie nicht hereinlasse, ziehen Sie eine Waffe und verschaffen sich mit Gewalt Zutritt. Macht ihr geheimen Bundesvollstrecker das nicht so?«
»Ja, genauso geht’s«, sagte Cheney und zeigte ihr die SIG an seinem Gürtel.
Zum ersten Mal blitzte in ihren Augen so etwas wie echte Besorgnis auf, obwohl es schwer zu erkennen war durch den dicken schwarzen Lidstrich, den sie um ihre Augen gezogen hatte. Sie hob beschwichtigend die Hände. »Das brauchen Sie nicht! Na gut, kommen Sie herein, ich warne Sol mal vor.« Sie bedachte Julia mit einem abschätzigen Blick. »Schämen Sie sich dafür, dass Sie Ihr Gesicht überall in den Nachrichten zeigen.« Sie tänzelte davon, und die hohen Absätze ihrer Seidenpantoletten klapperten laut.
Cheney sagte: »Sehen Sie doch nur, wie das seidene Ding um sie herumwedelt, wenn sie läuft. Wenn es nicht so furchterregend wäre, könnte es glatt sexy sein. Ist sie wirklich seine kleine Schwester?«
»Wieso nicht? Wissen Sie es denn nicht? Immerhin sind Sie der Bundesmörder.«
Sie gingen einen langen Flur entlang, der sich über die gesamte Länge des Hauses erstreckte. Nach vorne gab es eine lange Fensterfront. Auf der linken Seite befand sich eine Reihe kleiner Räume mit Shoji-Schiebetüren aus Reispapier zur Wahrung der Privatsphäre. Die Türen standen alle halb offen und gaben den Blick frei auf Räume, die mit Bildhauerkunst von kleinen Bronzejungen bis hin zu metergroßen Steingöttern dekoriert waren. Ein riesiger Gong, der so uralt aussah wie die Göttin, die danebensaß, lag in der Mitte des größten Zimmers.
Sollte die östliche Mystik den Gesamteindruck verstärken? Cheney glaubte nicht, dass ihn nach dem Hellsehertrio, das sie schon besucht hatten, noch viel überraschen konnte.
Doch da irrte er sich.
Soldan Meissen saß mitten in einem Dutzend großer Seidenkissen, die vor einem niedrigen, kunstvoll geschnitzten, rot lackierten Tisch aufgetürmt waren, und rauchte eine Wasserpfeife. Der Rauch wand sich um seinen kahlen Kopf und benebelte die runden, randlosen Brillengläser. Er war sehr schmächtig. Es war, als hätte ihn der karmesinrote seidene Mantel verschluckt, den er mit einem breiten seidenen Kummerbund um die Hüften gebunden hatte. Unten schaute ein schmaler nackter Fuß heraus. Hässliche Zehen, dachte Cheney, knorrig und verkrümmt. Er erinnerte sich, dass er ihn schon zweimal im Fernsehen gesehen hatte, allerdings nicht wie jetzt als kleinen Pascha im vollen Kostüm. Warum hatte er der Vollständigkeit halber nicht noch einen Fez auf?
Der Mann beobachtete sie eine Weile still durch den Rauchschleier hindurch und sagte dann mit überraschend angenehmer, tiefer Stimme: »Warum hast du diese Leute ins Haus gelassen, Ancilla? Du weißt doch, dass ich nach acht Uhr keine Klienten mehr empfange. Jetzt ist es schon lange nach neun. Wer sind sie?«
»Sie haben sich
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