Hassbluete
hören. Aber diese Melodie erkannte ich sofort, schließlich waren wir erst vor Kurzem zusammen im vierten Teil gewesen und beide echte Jack-Sparrow-Fans.
Ich schaute mich um, Mike war nicht auf der Brücke. Dann realisierte ich, dass der Ton von unten kam.
Die grausame Erkenntnis, was passiert sein musste, durchzuckte mich, noch bevor ich einen Blick über das Geländer geworfen hatte. Ich trat heran und sah hinunter. Der Klingelton kam ganz klar aus der Richtung, aber ich konnte nicht genug sehen, knipste meine Taschenlampe an und richtete sie nach unten. Und da lag er, genau wie Robin, merkwürdig verkrümmt und gab keinen Laut von sich.
Und ich schrie und lief und schrie und lief …
Halb rutschend, halb laufend schlitterte ich die Uferböschung hinunter und schmiss mich neben Mike auf den Kies des ausgetrockneten Flussbetts. Mom war dicht hinter mir und ich hörte, wie sie hastig in ihr Handy sprach: »Hier spricht Susanne Morgenroth. Wir brauchen dringend einen Notarzt an die Fußgängerbrücke über der Berkel in Kinderhaus. Es ist jemand in die Tiefe gestürzt. Es sieht ernst aus. Bitte, beeilen Sie sich!«
»Mike!« rief ich und strich ihm die Haare aus dem Gesicht. Er hatte die Augen geschlossen und zeigte keine Reaktion. Ich hielt meine Wange an seinen leicht geöffneten Mund.
Er atmete noch!
»Mike, bitte!«, flüsterte ich. »Sieht das so aus, wenn du etwas in Ordnung bringen willst? Was hast du nur getan? Halt durch, hörst du. Es ist gleich Hilfe da.« Nichts regte sich in seinem Gesicht. Ich wollte Mund-zu-Mund-Beatmung machen, wie wir es im Erste-Hilfe-Kurs in der Schule gelernt hatten, aber ich war mir nicht sicher, ob ich ihm damit nicht eher schaden würde. Sanft hielt ich mit den Fingern der rechten Hand seine Nase zu und hatte Angst, sie auch noch zu brechen, und presste sanft Luft in seinen Mund. Ich sah ihn an, wartete ab.
Nichts veränderte sich.
Ich wiederholte es noch ein paarmal. Janni, Daniel und meine Mutter standen daneben und beobachteten uns. Doch dann wurde mir plötzlich schwarz vor Augen und das Letzte, was ich realisierte, war, wie ich über Mike zusammensackte.
16:18, Vernehmung wird fortgesetzt. Protokoll, Akte 1351-DA
Geht das Teil wieder? Kann ich anfangen? (. . .)
Ja, das mit Mike war furchtbar … (. . .)
Aber nicht so schlimm wie die Nachricht von Robins Sturz … Unfall. Tut mir leid, das klingt sicher hart, aber es ist nun mal so. (. . .)
Mike war … ist eben kein Teil von mir! (. . .)
Jaja, ich rege mich ja gar nicht auf! Natürlich hat Mike sich selbst gemeint, als er Tsunami sagte!? Wen denn sonst!? (. . .)
Natürlich, bin ich wütend auf ihn. Er muss Robin das Leben zur Hölle gemacht haben! (. . .)
Das war doch ein einziges Schuldeingeständnis! Welche Beweise brauchen Sie denn noch!? (. . .)
Entschuldigung, können wir eine Pause machen? (. . .)
12
Kurz drauf kam ich wieder zu mir. Mom hatte sich auf die Steine gekniet und meinen Oberkörper an sich gelehnt, sodass ich halbwegs aufrecht sitzen konnte und mir bald nicht mehr schwindelig war. Der Notarzt- und der Krankenwagen näherten sich dann auch noch von der falschen Seite, sodass sie über die Fußgängerbrücke schieben mussten, wofür sie eigentlich zu schmal waren. Das verzögerte die Ankunft noch mal um etliche Minuten. Aber dann ging alles ganz schnell. Auf die Trage, Atemmaske auf und los ging es. Ich wurde in den zweiten Krankenwagen verladen, der extra meinetwegen noch nachträglich angefordert worden war, weil ich ja irgendwie auch ein Notfallopfer war, hatte meine Mutter mir später erklärt. Einer der beiden Polizeiwagen, die eingetroffen waren, fuhr dem Notarzt direkt ins Krankenhaus hinterher. Die restlichen Polizisten blieben vor Ort, um sich den Tatort anzugucken und auf die Spurensicherung zu warten.
»Hast du gesehen, wie es passiert ist?«, fragte einer der beiden Sanitäter. Zu mir drangen seine Worte wie durch einen Nebel nur leicht verzerrt. Passierte das alles hier gerade wirklich?
»Nein, er lag schon da unten«, sagte ich. »Wird er es schaffen?«
»Er hat viele Knochenbrüche und wahrscheinlich innere Verletzungen bei der Höhe.«
»Ins Wasser zu fallen, wäre aber auch nicht besser gewesen. Wasser kann ab einer gewissen Höhe verdammt hart sein. Dann hätte er beim Aufprall das Bewusstsein verloren und wäre ertrunken«, sagte der zweite Sanitäter.
»Ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt«, meinte der andere.
Dieses Wunder war Robin nicht passiert. Ich
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