Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hassbluete

Hassbluete

Titel: Hassbluete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agnes Kottmann
Vom Netzwerk:
verlieren«, sagte Janni.
    »Und dann macht man vielleicht verrückte, unüberlegte Sachen«, pflichtete Wolfgang ihr bei. Wieder schwebte nur eine Andeutung durch den Raum. Janni lächelte über die kleine Anerkennung.
    »Noch hat sie ja nichts Unüberlegtes gemacht«, hielt ich dagegen.
    »Na ja, wie man’s nimmt«, bemerkte er knapp und sah sich im Kellerraum um.
    Oder hatte die Löwin ihre eigenen Jungen auf dem Gewissen, um den Löwen nicht zu verlieren, um mit ihm neue Jungen zeugen zu können? Hatte Lisa Robin mit Absicht … oder im Streit, aus Versehen … oder es zumindest in Kauf genommen und nichts dagegen unternommen …?
    In meinem Kopf schwirrte und hämmerte es gleichzeitig.
    Plötzlich sagte Wolfgang: »Ich brauch frische Luft.«
    Wir gingen nach draußen, wollten zur Brücke, um uns die Stelle noch einmal anzusehen. Es dämmerte schon und Morgennebel lag über dem Fußballfeld und dem Spielplatz. Die Amseln zwitscherten lautstark und ein Mann mit einer Laptoptasche über der Schulter hastete zur U-Bahn. Die erste würde bald fahren. Janni blieb an der Ecke, an der ein Weg in Richtung Fußgängerbrücke abzweigte, stehen. Sie kam nicht weiter mit.
    »Ich geh dann heim«, sagte sie. »Auf die Brücke bringen mich keine zehn Pferde.«
    »Das kann ich gut verstehen«, sagte Wolfgang. »Hör auf dein Bauchgefühl.« Er lächelte ihr noch mal zu und sie lächelte zurück. Sogar ihre Augen lächelten. Ich runzelte die Stirn. Flirtete sie jetzt etwa mit ihm? Nach ein paar Metern drehte ich mich noch mal um. Ihre langen blonden Haare reichten ihr bis zum Po, weil sie sie nicht zusammengebunden hatte. Sie wehten im Wind und sahen aus wie ein langer seidener Umhang.
    Als der Brückenaufgang in mein Blickfeld geriet, sträubte sich etwas in mir. Es wurde schwerer, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ich wollte nicht dorthin, wo Mike sich in den Tod hatte stürzen wollen, und auch nicht zu der Stelle am Fluss, an der wir Robin ins Wasser geschmissen hatten. Jetzt merkte ich, dass der Schreck mir immer noch in den Knochen saß. Ich atmete durch, versuchte, mich zu konzentrieren: Einatmen – Ausatmen. Wolfgang merkte, dass ich meine Schritte verlangsamt hatte. »Wir müssen ja nicht runterschauen«, sagte er beruhigend.
    Dann betraten wir die Brücke und ich fixierte mit meinem Blick das gegenüberliegende Ende. Nur geradeaus gucken. Nicht in die Tiefe, nicht nach rechts, nicht nach links. Auf dem Rückweg würde ich lieber bis zur nächsten U-Bahn-Station im Gewerbegebiet laufen und von dort zurückfahren, als noch einmal über die Brücke zu gehen.
    Wolfgang spürte wohl ganz genau, was mit mir los war. Er sagte: »Die Angst ist der Weg.«
    Was? Ich verstand nicht, was er meinte. Konnte ihm auch nicht richtig zuhören. Immer nur einen Schritt vor den anderen. Als wir die Stelle erreichten, an der Mike heruntergestürzt war, hielt ich die Luft an. Jemand hatte eine Plastikrose an einen Eisenstab des Brückengeländers befestigt und ich tippte auf Janni.
    Wolfgang betrachtete die Rose und sagte: »Vielleicht hat sich Mike auch nur aufs Geländer gesetzt und ist dann runtergekippt!?« Er guckte in die Tiefe. »Entschuldige«, sagte er schnell. »Wir wollten ja nicht …«.
    »Schon okay«, gab ich mich cool und warf sogar selber einen schnellen Blick auf das trockene Flussbett unter uns. Da unten hatte Mike gelegen. Jetzt erinnerte nicht mal mehr ein Blutfleck daran. Nur noch Jannis rote Rose am Geländer.
    Mir kam plötzlich eine Idee, aber ich ging erst noch ein Stück zurück, an eine Stelle, wo wieder Wasser unter der Brücke floss.
    Auch wenn der Sanitäter behauptet hatte, Wasser könne hart wie Stahl sein – mir schien es immer noch weicher als das grauweiße Kiesbett.
    »So?« Ich hatte mich rückwärts mit beiden Händen auf dem Geländer abgestützt und die Füße von der Erde gelöst. Die Angst war plötzlich verflogen, es war wie ein Kick.
    »Spinnst du! Pass auf!«, schrie Wolfgang und packte mich bei den Schultern. Ich nutzte die Gelegenheit und setzte mich richtig aufs Geländer.
    »Hey, was machst du da?«
    »Ausprobieren, wie es gewesen sein könnte.« Ich schlang meine Arme um Wolfgangs Hals. Er umgriff mich noch fester mit seinen Händen.
    »Sicher ist sicher«, sagte er. »Bevor noch was passiert.«
    Plötzlich merkte ich, wie nah wir uns bei dieser Umarmung gekommen waren. Ich spürte seine Arme um meine Schultern und roch sein Aftershave, zwar nur schwach, aber genauso süßherb, wie

Weitere Kostenlose Bücher