Hastings House
auch keine Hoffnung hegte, hier irgendwo eine Ammoniakkapsel zu finden, um sie Leslie unter die Nase zu halten und sie damit aus der Ohnmacht zu holen, blieb ihm keine andere Wahl als abzuwarten, bis sie aufwachte. Er hoffte, dass es nur der Schock war, ihn zu sehen, der sie hatte bewusstlos werden lassen.
Tatsächlich kam Leslie bald wieder zu Bewusstsein. Sie verzog das hübsche, fein geschnittene Gesicht, als das nasse Handtuch ihre Stirn berührte.
Sobald sie die Augen aufschlug, kehrte der beunruhigte Ausdruck zurück. Ihre Hände hielt sie flach auf die Matratze gedrückt, gleichzeitig versuchte sie vor ihm zurückzuweichen. Ihre ganze Haltung verriet das Ausmaß ihrer Skepsis. “Matt?”, fragte sie zögernd und ungläubig.
“Nein, tut mir leid”, antwortete er so besänftigend, wie er nur konnte. “Ich bin nicht Matt, sondern Joe. Ich glaube, wir sind uns nie begegnet, außer vielleicht mal in unserer Kindheit. Es könnte allerdings sein, dass Matt von mir gesprochen hat. Ich bin Joe Connolly, Matts Cousin.”
Das Gefühl, das er bei diesen Worten in ihrem Blick aufwallen sah, konnte er nur schwer deuten. Schließlich zeichnete sich auf ihren Lippen ein wehmütiges Lächeln ab. Sie senkte den Blick, sodass er ihre dichten Wimpern deutlicher sehen konnte, und brachte ein unsicheres Lachen zustande.
“Mein Gott, das tut mir so leid. Ich bin nicht … ähm … normalerweise falle ich nicht einfach ohnmächtig um. Es tut mir wirklich leid”, beteuerte sie und hielt ihm ihre Hand hin. Er nahm sie und merkte, welche Kraft in ihrem Griff steckte. “Ich bin Leslie MacIntyre. Natürlich hat Matt oft von dir gesprochen. Ich komme mir ja so albern vor, bloß … die Ähnlichkeit ist einfach … verblüffend.”
“Eigentlich nicht”, widersprach er. “Matt war … süßer”, setzte er dann grinsend hinzu. “Nein, ernsthaft. Sein Haar hatte einen helleren Blondton, ich habe grüne Augen, er hatte blaue. Aber ich glaube, wir waren in etwa gleich groß. Wir kommen beide nach meinem Großvater … ein guter alter irischer Starrkopf, schätze ich. Ich glaube, dass wir nicht von Aristokraten abstammen, eher von Kartoffelbauern.” Er redete zu viel, was eigentlich gar nicht seine Art war. Es schien jedoch, als benötige sie noch eine zusätzliche Versicherung, auch wenn sie sich auf den ersten Blick schnell wieder erholt hatte.
Sie bekam wieder diesen traurigen Gesichtsausdruck. “Es tut mir wirklich leid.”
“Nein, mir tut es leid. Mir ist die Ähnlichkeit einfach nicht bewusst gewesen. Matt und ich fanden ohnehin nie, dass wir uns sehr ähnlich waren.” Er betrachtete sie eindringlicher und wurde ernst. “Ein gemeinsamer Freund, Robert Adair, sagte mir, dass du hier übernachtest.”
“Tatsächlich? Dann hätte er mich auch vor deinem Auftauchen warnen können”, gab sie mit einem Lachen zurück.
“Na ja, er kennt mich seit einer Ewigkeit, und er kannte Matt schon immer. Vermutlich war ihm unsere Ähnlichkeit gar nicht so bewusst.”
Sie nickte. “Na, auf jeden Fall ist es schön, dich endlich kennenzulernen.”
“Ich war im Krankenhaus”, sagte er leise. “Du warst zu der Zeit noch nicht bei Bewusstsein.”
Wieder nickte sie, diesmal wandte sie ihren Blick von ihm ab. “Ich hatte deine Nachricht gelesen. Das ist mir jetzt so peinlich. Ich habe nur mein Nachthemd und den Morgenmantel an, ich bin vor deinen Augen in Ohnmacht gefallen … aber ich versichere dir, Matt wollte ein intelligentes menschliches Wesen heiraten … und normalerweise bin ich das auch.”
“Das musst du mir doch nicht erst versichern”, wehrte er ab. “Ich habe dir einen Schreck eingejagt, deshalb bin ich derjenige, der sich entschuldigen muss.”
Plötzlich wurde ihm bewusst, wie nah er ihr war. Sie hatte sich halb aufgerichtet, er hockte vorgebeugt da. Diese Nähe war ihr sicher unangenehm, also stellte er sich lieber hin. “Ich wollte eigentlich nur mal Hallo sagen. Aber wie ich sehe, warst du im Begriff, dich schlafen zu legen.” Ihm fiel auf, dass es erst kurz nach halb acht war. Okay, sie arbeitet ja auch hart, dachte er. Den ganzen Tag zu graben muss ganz schön anstrengend sein. Und viele Leute gingen früh ins Bett. Aber um halb acht? “Ich lasse dich jetzt lieber in Ruhe. Falls du Zeit hast, würde ich mich freuen, wenn wir uns noch mal sehen könnten.”
Sie lächelte ihn an und sagte leise: “Für Matts Cousin habe ich immer Zeit, Joe.”
Oh Gott, dieses Lächeln war die pure Verzauberung.
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