Hastings House
Gleichzeitig fragte sie sich, wie es sein konnte, dass er jetzt hier bei ihr war. “Es geht mir gut”, versicherte sie den Umstehenden. “Ich hatte mehr Glück als ein Lottogewinner, aber es geht mir gut.”
“Bleib liegen”, sagte Joe, dessen Gesicht einen sonderbaren Ausdruck angenommen hatte. “Hast du dir was gebrochen? Hast du Schmerzen?”
Zum Antworten kam sie nicht, weil sich in diesem Moment die Menge teilte und zwei Sanitäter – ein Mann und eine Frau – zu ihr kamen. Joe und der Polizist gingen einen Schritt nach hinten, während die Sanitäter ihr eine Reihe von Fragen stellten. Leslie erklärte ihnen, dass mit ihr alles in Ordnung sei – wenn sie von ein paar Prellungen absah und davon, dass es ihr den Atem verschlagen hatte. Nach einer kurzen Untersuchung stellten die Sanitäter fest, dass Leslie keine Knochenbrüche erlitten hatte und auch ihre Wirbelsäule unversehrt geblieben war. Sie konnte also wieder aufstehen.
Und der Puls der Stadt konnte ebenfalls weiterschlagen.
“Was ist passiert?”, wollte der zweite Cop wissen, als klar war, dass kein medizinischer Notfall vorlag.
“Ich weiß nicht. Es war hier unten sehr voll”, berichtete sie.
Er schien ernsthaft besorgt zu sein. “Wurden Sie gestoßen?”
“Natürlich wurde ich gestoßen! Was soll denn …”
“Dann sind Sie also nicht … gesprungen?”
“Ob ich was bin? Gesprungen?”, gab sie entrüstet zurück. “Natürlich nicht!”
“Haben Sie jemanden gesehen, der ein Interesse daran gehabt haben könnte, Ihnen etwas anzutun? Irgendwelche Bandenmitglieder? Sonst jemand, der Ihnen ungewöhnlich vorgekommen ist?”
Sie sah ihn ratlos an. “Ich komme nicht jeden Tag her. Bandenmitglieder habe ich keine bemerkt. Ich glaube, es war auf dem Bahnsteig einfach sehr voll, und irgendwann werden die Leute nervös und fangen an zu drängeln, weil sie die nächste Bahn erwischen wollen. Hören Sie …”
“Reg dich nicht auf, Leslie”, sagte Joe zu ihr.
Die Sanitäter ließen sie nach wie vor nicht aus den Augen. In der Zwischenzeit befragten die Polizisten Joe, der sich auswies und erklärte, er habe gewusst, dass sie in der Bibliothek gewesen war, und der sei hergekommen, um nach ihr zu suchen. Er war bloß nicht zeitig genug auf dem Bahnsteig gewesen, um den Zwischenfall zu verhindern.
Es war ein Albtraum.
Obwohl sie nachdrücklich protestierte, brachten die Sanitäter sie zum Rettungswagen und fuhren mit ihr ins Krankenhaus, damit ein Arzt sie eingehend untersuchen konnte. Joe begleitete Leslie im Rettungswagen, und auch einer der beiden Cops fuhr mit, um ihre Aussage aufzunehmen.
Während Leslie geröntgt und untersucht wurde und mit dem behandelnden Arzt einen umfangreichen Fragenkatalog möglicher Symptome durchgehen musste, warteten ihre beiden Begleiter draußen. Zusätzlich fragte der Arzt, woher sie die kleinere Beule an ihrem Kopf hatte. Das Ausmaß seiner ärztlichen Besorgnis wurde Leslie langsam unheimlich. Glaubte der Mann etwa, sie sei selbstmordgefährdet?
Als Robert Adair zusammen mit Ken Dryer im Krankenhaus erschien, hätte Leslie am liebsten laut geschrien. Sie wollte allein sein! Sie wollte Ruhe haben, um sich diese schicksalhaften Sekunden in der U-Bahn so lange durch den Kopf gehen zu lassen, bis sie verstand, was da eigentlich geschehen war.
Die Stimme.
Hatte Joe zu ihr gesprochen? War er bei ihr auf dem Bahnsteig gewesen?
Sie wusste es nicht. Sie konnte sich nur daran erinnern, dass Joe ganz plötzlich dort stand und sie von den Schienen zog.
“Sie sorgen wohl gern für Aufregung”, scherzte Ken Dryer, als der Arzt zum nächsten Patienten gegangen war und sie zu Leslie durchgelassen wurden.
Roberts Miene spiegelte eine Mischung aus Verärgerung und Sorge wider. “Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?”
“Nein, ich habe eine Prellung am Oberschenkel, die verdammt wehtut. Aber es ist nichts Wildes. Ich will einfach nur so schnell wie möglich weg von hier”, erwiderte sie.
“Was ist denn passiert?”, wollte Ken wissen.
“Es war voll in der U-Bahn. Die Leute haben gedrängelt, und ich hätte besser aufpassen müssen und mich nicht so dicht an der Bahnsteigkante aufhalten sollen. Das Ganze war ein Unfall.”
Im gleichen Moment, als sie das Wort aussprach, wusste sie, dass es eine Lüge war.
Ein Unfall?
Die Explosion im Hastings House war ein Unfall gewesen.
Und dass sie in der Gruft von einem Stück Verputz am Kopf getroffen wurde, war auch ein Unfall.
Beweg dich!
Wer hatte
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