Hasturs Erbe - 15
zu berühren.
Sie klammerte sich immer noch an mich, warm, eng und lebendig. Ich wollte sie heftig von mir schleudern, doch zugleich wollte ich - und sie wußte es, verdammt, sie wußte es! - was ich von jeder Frau aus meinem Zirkel, abgesehen von der Bewahrerin, irgendwann einmal gewollt hatte. Es würde die Feindseligkeit und Spannung auflösen. Jede im Turm ausgebildete Frau hätte jenen Zustand, in dem ich mich befand, gespürt, und sich verantwortlich gefühlt… Ich zwang mich zur Ruhe, um mich aus Thyras Armen zu befreien. Es war nicht Thyras Fehler, nicht mehr als der Marjories. Es war nicht Thyras Fehler, daß Marjorie und nicht sie aus Mangel an ausgebildeten Bewahrerinnen gezwungen war, diese Rolle anzunehmen. Es war nicht Thyra, die mich so angeregt hatte. Es war auch nicht Thyras Fehler, daß sie nicht an die Gebräuche der Turmzirkel gewöhnt war, wo Intimität und Wahrnehmungsfähigkeit stärker sind als Blutsbande, dichter als Liebe, wo das Bedürfnis des einen beim anderen die Verantwortung wachruft.
Ich konnte die Gesetze eines Turmzirkels nur so weit hier durchsetzen, als es zu ihrer Sicherheit notwendig war. Mehr konnte ich nicht verlangen. Ihre eigenen Bande und Verpflichtungen reichten weit zurück, über die Zeit meiner Ankunft hinaus. Thyra empfand nichts außer Verachtung für Arilinn. Und sich zwischen Kadarin und Thyra zu stellen, war ein Ding der Unmöglichkeit.
Sanft, damit sie sich durch mein plötzliches Zurückziehen nicht verletzt fühlte, löste ich mich von ihr. Beltran starrte wie hypnotisiert in die zuckenden Flammen im Kamin und sagte leise: „Marelie Hastur. Ich kenne die Geschichte. Sie war jene Bewahrerin auf Arilinn, die von Banditen in den Khilgard Bergen überfallen wurde. Sie wurde vergewaltigt und nahe der Stadtmauer dem Tod überlassen. Doch sie überlebte, und aus Stolz oder aus Furcht vor Mitleid verheimlichte sie, was man ihr angetan hatte, und ging zu den Matrixschirmen, entgegen den Gesetzen für Bewahrerinnen… Und sie starb, ein verkohlter Leichnam, wie von einem Blitz getroffen.”
Marjorie zuckte zusammen, und ich verfluchte Beltran. Warum mußte er vor ihren Ohren diese Geschichte erzählen? Es schien ein Hieb aus bedachter Grausamkeit, und das war Beltran ganz und gar nicht ähnlich.
Ja. Und ich war nahe daran gewesen, sie Thyra zu erzählen, und fast bereit, ihr ihre eigene Harfe auf dem Kopf zu zerschmettern. Das paßte auch ganz und gar nicht zu mir. Was in aller Götter Namen war mit uns los?
Kadarin sagte rauh: „Ein Lügenmärchen. Ein frommer Betrug, um die Bewahrerinnen zur Keuschheit zu verpflichten, eine Schauergeschichte für Säuglinge und kleine Mädchen!” Ich streckte ihm meine narbige Hand entgegen.
„Bob, das ist kein frommer Betrug!”
„Aber ich kann auch nicht glauben, daß es etwas mit deiner Unberührtheit zu tun hatte”, lachte er und legte mir wohlmeinend die Hand auf die Schulter. „Du machst dir selber Alpträume, Lew. Gegen deine Marelie Hastur setze ich Cleindori Aillard, mit deinem eigenen Vater verwandt, die geheiratet hat und einen Sohn bekam und keinen Jota ihrer Kräfte als Bewahrerin verlor. Hast du vergessen, daß man sie abschlachtete, um dieses Geheimnis zu bewahren? Das allein sollte all diesen abergläubischen Unsinn über Keuschheit Lügen strafen.”
Ich sah, wie Marjories Gesicht etwas von der Angespanntheit verlor, und war ihm dankbar, wenn auch nicht gänzlich überzeugt. Wir arbeiteten hier ohne die elementarsten Sicherheitsvorkehrungen, und ich war nicht bereit, diese älteste und einfachste Vorsichtsmaßnahme in den Wind zu schlagen.
Kadarin sagte: „Wenn du und Marjorie lieber getrennt schlaft, solange die Arbeit dauert, ist das eure Sache. Aber legt euch deswegen keine Alpträume zu. Marjorie beherrscht die Kontrolle gut. Mit ihr fühle ich mich sicher.” Er beugte sich zu ihr nieder und küßte sie leicht auf die Stirn, ein Kuß ohne jegliche Leidenschaft, jedoch liebevoll. Er legte den anderen Arm um mich und zog mich lächelnd an sich. Einen Augenblick dachte ich, er würde mich ebenfalls küssen, doch er lachte. „Wir sind dafür zu alt”, sagte er, aber ohne Spott. Einen Moment lang waren wir uns alle wieder nah, ohne Anzeichen jener schrecklichen Gewalt und Disharmonie, die uns auseinandergerissen hatte. Ich begann, wieder Hoffnung zu schöpfen. „Wie geht es unserem Vater, Beltran?” fragte Thyra leise. Ich hatte fast vergessen, daß Thyra ebenfalls seine Tochter war.
„Er ist sehr
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