Hauch der Verdammnis
schützen. Josh war deutlich die Enttäuschung darüber anzusehen, dass es hier nicht mehr zu sehen gab als ein paar alte Steine. »Das hier ist nicht die eigentliche Stelle«, sagte Katharine, die aus einem der Zelte gekommen war. »Sie ist da oben. Kommt mit.«
Als sie die Jungen den steilen Weg hinauf zu der Schlucht führte, spürte Michael wieder das seltsame Gefühl in der Brust.
Eigentlich war es kein richtiger Schmerz.
Nur ein komisches Gefühl, als bleibe einem die Luft weg. Dabei machte ihm das Atmen keine Schwierigkeiten.
Komisch.
Er bemühte sich, gegen das seltsame Gefühl anzugehen, und ging weiter, bis sie zu dem Vorsprung kamen, auf dem sich die Feuerstelle und das Skelett befanden.
»Mann«, flüsterte Josh, als er auf die Knochen herabblickte, die in ihrer ursprünglichen Position vor ihm lagen. »Was ist das? Ein Schimpanse?«
»Weder ein Schimpanse noch ein Gorilla«, antwortete Katharine. Sie kniete nieder und begann die Besonderheiten des Skeletts zu erklären, aber Michael hörte ihr gar nicht mehr zu. Kaum hatte er das Skelett gesehen, als ihn ein Gefühl überkommen hatte, das noch seltsamer war als das in seiner Brust.
Ein Gefühl, als ob eisige Finger seinen Rücken entlang strichen.
Furcht, aber irgendwie nicht schlimm.
Wie gebannt starrte er auf das Skelett und musste sich schließlich zwingen, den Blick abzuwenden.
Er sah sich um.
Vielleicht erinnerte ihn dies alles nur an etwas anderes - an eine andere Fundstelle, an der seine Mutter gearbeitet hatte, irgendwo in Afrika.
Aber die Orte, die er in Afrika gesehen hatte, ähnelten diesem hier überhaupt nicht. Sie lagen in trockenen Wüstengebieten, wo so selten Regen fiel, dass es praktisch keinerlei Vegetation gab. Hier jedoch umgab sie der Regenwald, dessen Blätterdach sich über ihnen wölbte. Ranken kletterten die Bäume hinauf, Farne sprossen aus Felsspalten, alles war von Moos bedeckt.
Afrika war anders gewesen - jeder Ort, an den er sich erinnerte, war anders gewesen.
Er schaute wieder auf das Skelett. Er beugte sich herab und legte seine Hand auf die steil abfallende Stirn des Schädels.
Warum? dachte er. Warum tue ich das?
»Vorsichtig«, hörte er seine Mutter.
Erschrocken zog er die Hand weg und schaute zu ihr auf. »Was ist das?« fragte er.
Katharine zog die Brauen zusammen und sah ihn halb verwundert, halb belustigt an. »Hast du gar nicht zugehört? Ich habe Josh gerade erklärt, dass es zu nichts zu passen scheint, was ich kenne.«
Michael konnte den Blick nicht von den Knochen abwenden. Erneut spürte er den seltsamen kalten Schauder, die Beklemmung in seiner Brust. Unwillkürlich griff er wieder nach dem Schädel, aber bevor er ihn erneut berührte, drang die Stimme seiner Mutter zu ihm durch.
»Michael? Junge, geht es dir gut?«
Michael zog die Hand zurück und richtete sich auf. Wie konnte er seiner Mutter erzählen, wie er sich fühlte? Wie konnte er es irgend jemandem erzählen, da er es ja kaum selbst verstand? Schließlich gelang es ihm, sich von dem seltsamen Schädel loszureißen. Er sah seine Mutter an.
»Was ist los?« fragte sie. »Irgendwas stimmt doch nicht.«
»Ein Freund von uns ist gestern nacht gestorben«, sagte Josh.
Sie sah ihn fassungslos an. »Ein Freund von euch?« wiederholte sie. Ihr Blick wanderte von Josh zu Michael. »Einer von den Jungen, mit denen du gestern abend zusammen warst?«
Michael nickte. »Kioki Santoya«, sagte er. »Er war im Laufteam.«
Katharine ließ sich auf einem Felsen nieder. »Wie?« fragte sie. »Was ist geschehen?«
Zögernd erzählten Michael und Josh ihr das wenige, das sie über Kiokis Tod wussten.
»Und er ist einfach gestorben?« fragte Katharine, als sie fertig waren. »Mitten im Zuckerrohrfeld?«
Michael und Josh nickten. Katharine erhob sich und legte die Arme um ihren Sohn. »Wie furchtbar«, sagte sie. »Du fühlst dich bestimmt ...«
»Ich bin okay, Mom.« Michael spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoß, während er sich aus ihrer Umarmung löste. »Ich ... ich hab' ihn ja kaum gekannt.« Er sah Josh an und merkte sofort, wie seine Worte geklungen haben mussten. »Ich meine...« Er druckste eine Weile herum und stieß dann hervor: »Ach, ich weiß nicht, was ich meine!« Er wandte sich ab und lief den Weg hinauf, bis zu der tiefen Spalte in der Schlucht, der alten Fumarole. Das Blattwerk versperrte ihm fast völlig die Sicht. Er stolperte über einen umgestürzten Baum.
Mist.
Was, zum Teufel, war nur los mit ihm? Warum
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