Hauch der Verfuehrung
Gäste waren da. Ohne Ausnahme bekundeten alle ihr Erstaunen und ihre Verblüffung angesichts des Porträts. Jacqueline schwirrte der Kopf ob all dieser Bemerkungen, aber sie hatte alle Anwesenden zuvor kennengelernt und fühlte sich in ihrer Gesellschaft wohl, kam sich in diesem Kreise wie zu Hause vor.
Trotz allem, was das Porträt aussagekräftig enthüllte -und sie hatte den Eindruck, dass ihr Innerstes zur Schau gestellt wurde -, fühlte sie sich nicht verletzlich, nicht hier in diesem Rahmen. Teilweise war es Vertrauenssache - all den Menschen um sie herum zu vertrauen; aber es war auch ein Spiegelbild der Kraft, die sie aus dem Leuchten in Gerrards Augen zog, wenn sie auf ihr ruhten, aus der flüchtigen Berührung seiner Finger, wenn er an ihr vorbeiging.
Es geschah nichts, das den Abend verdorben hätte. Die Unterhaltung bei Tisch drehte sich um das Porträt, was andere darin sahen, ihre Hoffnungen, die sich daran knüpften, sowie die Situation, die sie auf Hellebore Hall erwartete, Gerrard, Millicent und Barnaby sowie sie selbst. Was sie unternehmen wollten.
Herzliche Wünsche begleiteten sie, aber in den Blicken, die die Männer wechselten, las Jacqueline Ernsthaftigkeit, Bereitwilligkeit, auf jede nur nötige Weise zu helfen, die beinahe schon mittelalterlich anmutete. Die Antwort auf den Ruf zu den Waffen, eine kriegerische Reaktion von eleganten Herren im Abendanzug, die nicht allzu weit von ihren Schwerter schwingenden Vorfahren entfernt waren.
Es war offenkundig, dass Gerrard aus demselben Holz geschnitzt war.
Keiner der Männer hielt sich unnötig lange bei Tisch auf; alle erhoben sich und folgten den Damen wieder in den Salon, zum Porträt. Es beherrschte die Zusammenkunft.
»Es raubt mir den Atem.« Amelia stand davor und betrachtete das Gemälde aufs Neue. »Aber nicht auf angenehme Weise.«
Jacqueline hatte die Zwillingsschwestern Amanda, Countess of Dexter, und Amelia, Viscountess Calverton, bei mehreren Anlässen getroffen. Sie waren ein paar Jahre älter als sie, aber so lebhaft, dass sie sich unwillkürlich zu ihnen hingezogen fühlte. Die Ehemänner, beide hochgewachsen, gut aussehend und auch noch Cousins, standen in der Nähe; sie waren bei Tisch geneckt worden wegen ihres Wettstreits, wer wohl als erster Nachwuchs bekommen würde - beide Zwillingsschwestern hatten innerhalb eines Monats einen Sohn zur Welt gebracht, dann später wieder im Abstand von nur einem Monat eine Tochter.
»Mir jagt es Schauer über den Rücken.« Amanda, die sich neben Amelia stellte, untermalte diese Behauptung realistisch. Sie wandte sich an Jacqueline. »Ich hoffe nur, dass das, was hier dargestellt ist«, - sie deutete auf den bedrohlichen Garten der Nacht - »besiegt ist und hinter Ihnen liegt.«
Jacqueline sah das Bild an. »Noch nicht.« Sie blickte zu den Zwillingen. »Aber ich hoffe, dass wir es bald geschafft haben.«
»Hm.« Amanda drehte sich zu Gerrard um. »Ich kann dir nur eines raten: Wenn du das alles sehen und auf die Leinwand bannen kannst, dann solltest du ihr auch die Hand reichen und die Arme aus dem Morast ziehen.«
Gerrards Lippen verzogen sich zu einen leisen Lächeln. »Du kannst beruhigt sein, genau das habe ich vor.« Er sandte Jacqueline einen Blick. »Und mehr.«
In ein neues Leben. Seine Augen ließen daran keinen Zweifel. Einen Moment lang war Jacqueline wie gefesselt von dem Versprechen, das darin stand.
Amelia entschlüpfte ein erstickter Laut, als sie sich eine Bemerkung verkniff. Sowohl Jacqueline als auch Gerrard sahen, wie die Zwillinge Blicke wechselten, dann schüttelte Amanda den Kopf und nahm ihre Schwester beim Arm. »Nein - sag nichts. Es wird dir doch bloß übel genommen. Wir wollen uns lieber zurückziehen und die beiden hier sich selbst überlassen.«
Mit unmissverständlich selbstzufriedenen Mienen begaben die zwei sich zu ihren Ehemännern.
Eine weitere Cynster-Gattin, mit der Jacqueline sich bestens verstand, war Flick - Felicity - Demon Cynsters Frau. Demon Harry war Vanes jüngerer Bruder und früher ein Draufgänger, wie er im Buche stand. Die Ähnlichkeit zwischen ihm und Vane war nicht unbedingt äußerlich, sondern an zahllosen Kleinigkeiten erkennbar. Wie dem Funkeln in Demons blauen Augen, als er neben Gerrard stehen blieb, um mit ihm über die Rückkehr nach Hellebore Hall zu sprechen.
Flick zog Jacqueline an der Hand, lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. »Sie müssen versprechen, dieses Jahr nach Newmarket zu kommen.« Sie hielt eine
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