Hauch der Verfuehrung
geboten, was schließlich durchaus möglich gewesen wäre.
Schlimmer noch, er wusste über jeden Zweifel hinweg, dass es wieder geschehen würde, und es würde sicher nicht nur bei einem Kuss bleiben. Wenn er blieb und das Porträt malte, das er mittlerweile dringend malen musste, wenn er sich der unwiderstehlichen Herausforderung stellte, die das Schicksal ihm auferlegt hatte, und das Bild malte, das sie und ihr Vater sich wünschten und brauchten ...
Lange Minuten stand er da und schaute in die nächtlichen Gärten, versuchte zu begreifen, womit er hier konfrontiert wurde. Wenn er blieb und das Porträt von Jacqueline malte, würde er Gefahr laufen, sich in sie zu verlieben.
Würde die Leidenschaft, die Lust und die Sehnsucht - all das, was zur Liebe gehörte - meine Leidenschaft für die Malerei schmälern? Oder existiert beides unabhängig voneinander? Oder sind es am Ende gar Gegensätze ?
Das waren die Fragen, denen er sich noch nicht hatte stellen wollen, die er gehofft hatte, wenigstens einige Jahre noch meiden zu können.
Aber jetzt drängten sie sich ihm auf, und er fand keine Antworten.
Und es fiel ihm nur ein Weg ein, sie zu finden.
Doch wenn er diesen Weg einschlug und die Antwort auf seine erste Frage ja lautete ... dann würde er alles aufs Spiel setzen, was er war ... und womöglich alles verlieren.
Lord Tregonnings Auftrag doch abzulehnen und unverzüglich abzureisen war die einzige Möglichkeit, diese Fragen nicht beantworten zu müssen, sie keiner Prüfung zu unterziehen. Der ultimativen Prüfung. Ein guter Teil seines Verstandes, der logische und vorsichtige Teil, drängte ihn zum Gehen als der vernünftigsten Vorgehensweise.
Der Künstler in ihm weigerte sich, das zu tun. Nachdrücklich. Von der Chance, die Gärten zu malen, einmal ganz abgesehen - er würde niemals, nie wieder so ein anspruchsvolles Porträt malen können, das sein Talent und seine Fähigkeiten herausforderte. Einfach abzureisen, ohne es zumindest probiert zu haben, hatte etwas von Selbstaufopferung, wenigstens für seine Malerseele.
Der Mann in ihm sagte Nein, und zwar unmissverständlich. Jacqueline vertraute ihm; das zeigte ihr Verhalten, ihre Aufforderung, als ihr Richter zu fungieren. Sie brauchte ihn; die Situation, in der sie sich befand, war gefährlich, vielleicht sogar lebensgefährlich. Sie und ihr Vater hatten recht, sein Ruf zusammen mit seinem Talent machten ihn zu dem einzigen Menschen, der die Tür in den Köpfen der anderen aufstoßen und Jacqueline aus den Banden befreien konnte, die sie fesselten.
Eine halbe Stunde stand er da und starrte in die Nacht. Sollte er weitermachen, das Porträt von ihr malen und sie befreien, sich der Gefahr ausliefern, sich in sie zu verlieben und dabei am Ende womöglich das Einzige zu verlieren, was er wahrhaftig schätzte: seine Malerei?
Hinter ihm in dem dunklen Zimmer schlug die Uhr auf dem Kaminsims, ein heller klarer Glockenton. Mit einer selbstverächtlichen Grimasse stieß er sich vom Türrahmen ab und drehte sich zum Zimmer um. Er zerbrach sich grundlos den Kopf. Seine Entscheidung war bereits getroffen, in Ermangelung anderer Möglichkeiten gewissermaßen. Er war hier und sie auch - er würde nirgendwohin gehen. Und schon gar nicht jetzt, da er sie in seinen Armen gehalten und ihre Lippen unter seinen gespürt hatte.
Die Würfel waren gefallen, sein Weg entschieden.
Er schloss die Balkontür und griff nach oben, um den Vorhang vorzuziehen, als ihm eine Bewegung im Garten auffiel.
Er schaute genauer hin und entdeckte den hellen Schimmer erneut.
Ein Fernglas samt Ständer war am Tag nach seiner Ankunft in sein Zimmer gebracht worden, eine Aufmerksamkeit von Lord Tregonning. Er hatte es schon benutzt, um sich von hier aus die Gärten anzusehen. Er ging rasch hinüber, richtete es auf das seltsame Etwas und stellte es scharf.
Und erblickte Eleanor Fritham.
Sie ging über den Weg aus dem Wald in den Garten der Diana. Ihr Haar schimmerte im Mondlicht - der helle Schimmer, den er bemerkt hatte.
»Es ist ein Uhr«, murmelte er zu sich. »Was, zum Teufel, treibt sie dort draußen ...« Er brach ab, als er vor Eleanor noch jemanden ausmachte. Jemand in einem Rock über den breiten Schultern, der von der am höchsten gelegenen Aussichtsplattform in den Garten trat, weiter ins Tal hinabstieg. Ein Mann, aber er befand sich schon in dem dichter bewachsenen Areal, sodass er ihn nicht erkennen konnte. Eleanor folgte ihm leichtfüßig.
Innerhalb von Sekunden waren sie
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