Hauch der Verfuehrung
bestehe darauf, dass sie bei allen Sitzungen ungestört und allein waren, nur sie und er; und er hatte auch deutlich erklärt, er würde niemandem seine Skizzen oder das unfertige Werk zeigen; enttäuscht, aber auch beeindruckt, war Eleanor von dannen gezogen, hatte sich auf den Heimweg durch die Gärten gemacht.
Jacqueline war ins Haus zurückgekehrt, nur um zu erfahren, dass ihre Anwesenheit nicht erforderlich war - für niemandem, und auch für den führenden Porträtmaler und Liebling der guten Gesellschaft nicht.
Enttäuscht - und verärgert, dass sie so empfand - nahm sie sich einen Roman und setzte sich in den Salon. Und versuchte zu lesen.
Als Treadle den Gong zum Lunch ertönen ließ, verspürte sie große Erleichterung.
Aber Gerrard erschien auch nicht zum Essen. Millicent -dem Himmel sei Dank - erkundigte sich nach seinem Verbleib und ersparte es somit Jacqueline, die Frage zu stellen. Treadle unterrichtete die Damen, dass Mr. Debbingtons Kammerdiener ein Tablett ins Atelier gebracht habe. Offenbar war es bei seinem Herrn, sobald er sich einmal in die Arbeit vertieft hatte, durchaus nichts Außergewöhnliches, wenn er tagelang die Mahlzeiten versäumte; es gehörte daher zu Comptons Pflichten, Sorge zu tragen, dass er nicht verhungerte.
Jacqueline wusste nicht, ob sie beeindruckt sein sollte oder nicht.
Als am Ende des Essens Millicent fragte, ob sie sich zu ihr in den Salon setzen wolle, schüttelte sie den Kopf. »Ich gehe ein wenig auf der Terrasse spazieren.«
Das tat sie dann auch, vom einen Ende zum anderen; sie versuchte dabei, an nichts Besonderes zu denken - vor allem nicht an Künstler, deren ganze Begeisterung ihrem Schaffen galt - hatte aber keinen Erfolg. Sie erreichte das südliche Ende der Terrasse, schaute hinauf - zum Balkon, von dem sie wusste, dass er zu seinem Zimmer gehörte, dann noch höher zu den Fenstern des alten Kinderzimmers.
Ihre Augen und ihre Lippen wurden schmal.
Sie stieß einen völlig undamenhaften Fluch aus, machte auf dem Absatz kehrt und ging schnellen Schrittes zur nächsten Tür, hinter der die Treppe zum ehemaligen Schulzimmer führte.
Gerrard stand an einem der Fenster seines Ateliers und ließ seinen Blick über die Gärten schweifen - sah aber keinen einzigen Baum. In seinen Händen hielt er die besten Skizzen, die er gestern gemacht hatte. Sie waren gut - das Versprechen, das er in ihnen wahrnahm, war fabelhaft, aber ...
Wie sollte er nun weiter vorgehen? Wie sollte sein nächster Schritt aussehen?
Er hatte den ganzen Tag damit verbracht, die Möglichkeiten abzuwägen. Sollte er zum Beispiel darauf bestehen, dass Millicent von nun an bei jeder Sitzung anwesend war?
Sein Instinkt als Maler begehrte dagegen auf. Millicent würde nicht nur ihn ablenken, sondern auch Jacqueline. Es durften nur sie beide zugegen sein - in traulicher Zweisamkeit, aber natürlich rein platonisch.
Sein Problem war, dass die platonische Seite sich zu rasch in etwas Körperliches verwandelte. Das würde er vielleicht sogar akzeptieren, aber sie war unschuldig; die Vorsicht verlangte von ihm, seine galoppierenden Gelüste zu zügeln.
Ein Klopfen ertönte an der Tür. »Herein!« Er nahm an, es sei ein Dienstmädchen, das das Tablett abholen wollte, das Compton ihm vorhin gebracht hatte.
Die Tür öffnete sich, und Jacqueline trat ein. Sie sah ihn, erwiderte seinen Blick offen, dann schloss sie hinter sich die Tür und schaute sich um.
Es war das erste Mal, dass sie hier war, seit der Raum seinen Bedürfnissen entsprechend umgestaltet worden war. Ihr Blick glitt über den langen Tisch auf Böcken und die verschiedenen Malutensilien, die darauf ausgebreitet lagen. Sie bemerkte den Stapel Skizzen an einem Ende und die Blätter in seiner Hand.
Dann richteten sich ihre Augen, wie magisch angezogen, auf die Staffelei mit der Leinwand, die zum Schutz vor Staub mit einem Nesseltuch verhängt war.
Sie ging langsam weiter ins Zimmer hinein, nachdenklich; schließlich schaute sie ihn an. »Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht wollen, dass ich Ihnen sitze.« Sie blieb zwei Schritt vor ihm stehen, neben dem Fenster, und wartete.
Er sah ihr in die Augen, musterte ihr Gesicht und warf dann die Skizzen, die er stundenlang betrachtet hatte, lässig auf den Tisch. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an den Fensterrahmen, musterte sie. »Nein, Sie haben sich gefragt, was los ist.«
Sie erwiderte seinen forschenden Blick, nicht argwöhnisch, aber abwägend, wie sie
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