Hauchnah
zurückzukommen, doch Natalie wollte nicht warten. Sie hatte zwar ihr Handy nicht bei sich, aber irgendwo musste doch ein öffentliches Telefon zu finden sein. Sie wollte Mac über Melissa informieren. Ihm sagen, dass es ihr selbst gut ging. Und dass sie endlich verstanden hatte, was er ihr hatte sagen wollen.
Sie stand auf. „Hallo?“, rief sie. „Ist da jemand?“
„Ich bin hier, Miss“, antwortete eine sanfte Männerstimme. „Brauchen Sie Hilfe?“
Sie wandte sich der Stimme zu. „Ich muss telefonieren. Haben Sie hier irgendwo ein Telefon gesehen?“
„Ich glaube, ein paar Flure weiter gibt es eines.“
„Können Sie mich dorthin begleiten? Ich bin blind.“
Seltsam, dass sie Worte aussprach, ohne zu zögern.
Sie hörte nur sein Atmen, als der Mann über ihre Bitte nachdachte. Vermutlich fürchtete er seine Unbeholfenheit, wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Gereizt wollte Natalie ihre Worte schon zurücknehmen, doch dann …
„Natürlich“, sagte er schließlich. „Hier. Nehmen Sie meinen Arm.“
Mac war bald am Ziel. Innerhalb einer Viertelstunde würde er Plainville erreicht haben. Da er noch nichts von Liz gehört hatte, rief er sie an. „Haben Sie sie?“
„Ich bin gerade angekommen. Ich suche sie jetzt.“
„Ich bleibe in der Leitung.“
Er hörte, wie Liz mit der diensthabenden Schwester sprach.
„Natalie Jones – die Freundin der Patientin. Sie ist blind. Also, wo ist sie?“ Statisches Knistern kam über die Leitung, als Liz mit dem Handy jonglierte. „Sie ist hier. Sie ist gerade zur Kapelle gegangen. Auf der anderen Straßenseite.“
„Gehen Sie hin, Liz.“
„Ich eile. Aber … Moment mal!“
Mac hörte nichts außer regelmäßigen dumpfen Schlägen, statischem Knistern und Liz’ Atemgeräuschen. Dann einen leisen Fluch.
„Liz, was ist los?“, schnauzte Mac.
„Die Zentrale schickt gerade Informationen zum neuesten Stand. Morrison ist hier.“
Macs Herz setzte einen Schlag aus, während Liz weiterredete.
„Wir haben den Krankenhausparkplatz überprüft. Sein Fahrzeug ist hier. Es ist das Fahrerfluchtfahrzeug.“
Der Mann war reizend. Viel zu reizend. Er wollte plaudern, während Natalie nur den Wunsch hatte, ein Telefon zu finden und Mac anzurufen.
„Sind wir wirklich auf dem richtigen Weg zum Telefon?“
„Ich habe hier irgendwo eines gesehen. Gleich habe ich es gefunden.“
„Sie arbeiten nicht hier?“
„Nein, ich besuche eine Freundin im Krankenhaus. Und Sie?“
Sie sah Melissa vor sich, wie sie operiert wurde und um ihr Leben kämpfte. Wie sie aufwachte und sich fragte, was passiert war. Angst hatte, ganz allein zu sein. Gleich nachdem Natalie mit Mac gesprochen hatte, musste sie zurück in die Notaufnahme gehen. „Ich auch.“
„Wird Ihre Freundin wieder gesund?“
„Ich … ich weiß es nicht. Sie ist überfahren worden.“
Der Mann schnalzte mit der Zunge. „Ein Unfall?“
„Es war Absicht.“
„Wer war es?“
„Ich weiß es nicht. Aber ich habe einen Verdacht. Ein Feigling von der schlimmsten Sorte. Die jämmerliche Parodie auf einen Mann.“
Der Mann blieb ruckartig stehen. „So etwas sollte eine Damenicht sagen. Frauen sollen Männer achten, denn Männer stehen über ihnen.“
Natalies Lachen erfolgte so automatisch wie das Atmen. Der Mann machte Witze, oder? „Wissen Sie, dass die meisten Serienmörder weiß und männlich sind?“
„Nein. Das wusste ich nicht. Aber Männer sind mehr wert als Frauen. Leviticus 27,1-7.“
Das ließ Natalie aufhorchen. Solche Worte hätte auch Alex Hanes von sich geben können.
„Ah. Das hat deine Aufmerksamkeit erregt, wie? Du bist blind, aber jetzt kannst du sehen?“
Sie entriss ihm ihren Arm und wich zurück. „Wer sind Sie?“
„Ich bin ein Bote Gottes, wie Alex einer war. Des Gottes, der dich von Angesicht zu Angesicht sehen will, Natalie Jones. Doch Alex war nicht klug oder nicht skrupellos genug, um die Mission zu erfüllen. Ich aber bin es.“
„Sie gehören dieser Kirche an. Sie sind der Pfarrer, von dem Mac mir erzählt hat. Sie haben Melissa überfahren.“
„Reverend“, sagte er sanft. „Und ich weiß nicht, wer Mac ist. Vermutlich ist er einer von den Polizisten, die den Fall Lindsay bearbeiten?“
„Haben Sie sie umgebracht? Haben Sie ihr Kind getötet? Oder haben Sie Alex angeheuert, um sie ermorden zu lassen, feige, wie Sie sind?“
Er atmete scharf ein. „Du erinnerst dich also, sie gesehen zu haben. Daher weißt du von dem Kind. Aber ich habe
Weitere Kostenlose Bücher