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Hauchnah

Hauchnah

Titel: Hauchnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virna Depaul
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mit Melissa im Rettungswagen abgefahren, bevor ich hier eintraf.“
    „Schicken Sie einen Officer ins Krankenhaus. Sorgen Sie dafür, dass Natalie ständig bewacht wird.“
    „Ich habe bereits jemanden angefordert. Aber wir hatten eine schlimme Nacht. Sämtliche Officer sind im Einsatz.“
    „Verdammt, das ist mir egal. Wenden Sie sich an den Bereitschaftsdienst.“
    „Der ist nicht mehr besetzt. Ich fahre jetzt gleich zum Krankenhaus, kann in etwa fünfzehn Minuten dort sein. Ich bleibe bei Natalie, während Melissa behandelt wird.“
    Fünfzehn Minuten. Zu lange. „Wie geht es Melissa?“
    „Ich weiß es nicht. Die Nachbarn sagen, sie ist ziemlich schwer verletzt.“
    Mac schlug mit der Handfläche aufs Lenkrad. „Fahren Sie zu ihr, Liz. Bitte. Beschützen Sie sie für mich.“
    „Ich versuche es. Versprochen.“
    Natalie saß im Wartezimmer der Notaufnahme im Plainville General Hospital und versuchte sich in eine Art gefühllosen Zustand zu versetzen, den sie in der Vergangenheit immer so tröstlich empfunden hatte.
    Es gelang ihr nicht.
    Sie empfand die Not überdeutlich. Spürte jedes schmerzliche Zucken. Das Herz klopfte unregelmäßig in ihrer Brust und fühlte sich hohl und schwer zugleich an.
    Sie litt um ihren Verlust. Um ihre Unfähigkeit, sich selbst zu schützen. Um ihre Unfähigkeit, zu vergessen. Doch gleichzeitig wusste sie, warum ihr das nicht mehr gelang.
    Gerade durch diese Abschottung von allem und weil sie sich ständig verkrochen hatte, war sie in diese Lage geraten. War Melissa in diese Lage geraten.
    Sie durfte sich nicht mehr verkriechen.
    „Du wirst wieder gesund, Melissa“, flüsterte sie ohne Rücksicht darauf, wer sie hörte und obwohl Melissa gar nicht bei ihr war. „Du wirst gesund, ich helfe Mac, denjenigen zu finden, der dir das angetan hat.“
    Sie würde ihm helfen, ob er ihre Hilfe nun wollte oder nicht.
    Ihr war es gleich, ob er sie für verrückt hielt oder sie ihn noch mehr verärgerte. Ihre Freundin war durch ihre Schuld zu Schaden gekommen, und sie würde dafür sorgen, dass ihr Gerechtigkeit widerfuhr. Ganz gleich, was es ihr abverlangte.
    Je länger sie dasaß, desto stärker wurde ihr Entschluss. Ihr Kummer und ihr Schmerz verebbten, und sie nahm deren Verwandlung in Zorn bereitwillig an. Den antiseptischen Geruch und die hektischen Geräusche, die sie früher in ihren Albträumen heimgesucht hatten, registrierte sie gar nicht. Sie war erfüllt von ihrer Entschlossenheit.
    Es war wohl ein Bruchteil von dem, was Mac dazu befähigte, seinen Beruf so gut auszuüben. Das Wissen, dass mit jedem Hinweis, dem er auf die Spur kam, die Ahndung für eine wichtige Person näher rückte. Nicht unbedingt für eine Person, die ihm persönlich wichtig war, wie zum Beispiel Melissa wichtig war für Natalie, aber gerade das war ja das Erstaunliche. Dass Mac die Menschen, denen er half, nicht einmal kennen musste, um ihnen sein Leben zu widmen.
    Vielleicht solltest du ihn anrufen. Auf seine Anrufe reagieren. Doch sie hatte ihr Handy zu Hause gelassen. Außerdem wusste sie, was geschehen würde, wenn sie Mac anrief. Er würde sie verstecken wollen. Sie sicher verwahren wollen. Vor jemandem, der, wie Alex Hanes, unheilige Taten mit heiligenWorten rechtfertigte.
    Derjenige, der Melissa überfahren hatte, wollte eigentlich sie, Natalie, treffen. Es war dunkel und regnerisch gewesen, da hatte er sie leicht miteinander verwechseln können. Es war alles ihre Schuld. Wenn sie doch bloß die Tür geöffnet hätte, statt Melissa abzuweisen …
    Mac hatte ihr vorgeworfen, ihr Stolz würde ihrer Vernunft im Weg stehen, und vielleicht hatte sie überreagiert, weil das stimmte. Doch die Vernunft hatte im Grunde nie einen großen Teil ihres Lebens beherrscht, selbst als sie noch sehen konnte. Auf Nummer sicher zu gehen war nicht ihr Stil. Wenn überhaupt, dann hatte sie ihren Mut erst verloren, als sie blind wurde. Dieser Mut war nun zurück und riss sie in einem Strudel von Emotionen mit sich, dem sie sich vollständig überließ. Melissas grauenhafte Schreie hallten noch in ihren Ohren und trieben sie an. Gaben ihr ein Ziel vor.
    Sie stand auf, hielt jedoch abrupt in der Bewegung inne, als ihr klar wurde, dass sie nicht einmal ihren Stock bei sich hatte.
    Sie lachte erbittert und resigniert zugleich.
    Was hatte sie denn wohl unternehmen wollen?
    Mit einem Taxi nach Sacramento fahren, an die Tür der Kirchengemeinde klopfen – und was dann?
    Die Realität ihrer ganzen Hilflosigkeit stürzte

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